Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
dafür war sie nicht gemacht. Dankbar zu sein.« Er klang nachsichtig und gelassen. »Sie hatte für alles und jeden nur Vorwürfe übrig. Ich habe es nicht auf mich bezogen.«
Der Therapeut hüllte sich in vielsagendes Schweigen.
»Was ist mit Ihrem Vater?«, fragte er irgendwann. Jones ertappte sich, wie er die Schuhe seines Gegenübers musterte. Teuer! Das sah man sofort. Vermutlich italienisches Leder, handgenäht. Ein weiterer Minuspunkt. Der Doktor war eitel. »Wir reden nie über ihn. Vielleicht sollten wir das Thema verstärkt angehen?«
Jones hatte ein wenig von seinem alten Herrn erzählt. Es war die übliche Geschichte von dem Dorfpolizisten, der zu viel trank, der anscheinend nur nach Hause kam, um herumzubrüllen, und der irgendwann sang- und klanglos verschwand.
»Aber da muss doch noch mehr dahinterstecken. Es reicht nicht, ihn als den Bösen hinzustellen. Vielleicht sollten Sie sich mehr Gedanken über ihn machen? Ihn zu verstehen versuchen? Immerhin waren Sie selbst Polizist. Wenn Sie wollten, könnten Sie alles über ihn herausfinden.«
Es kostete Jones eine übermenschliche Überwindung, keinen Hechtsprung über den Sofatisch zu machen und den Mann nicht zu verprügeln.
»Unsere Zeit ist abgelaufen.« Zufrieden klappte der Doktor seinen Notizblock zu. »Denken Sie drüber nach. Wir machen nächste Woche an dieser Stelle weiter.«
Aber dann kam es anders. In der Tat war Jones in diesem Moment zu der Einsicht gelangt, dass eine Gesprächstherapie nicht das Richtige für ihn war. Er musste zugeben, dass er »dichtmachte«, wie der Arzt es vorwurfsvoll nannte.
Selbst jetzt, als er im Auto saß und der Motor im Leerlauf brummte, fühlte er noch das hässliche Gefühl in sich aufsteigen. Allein die Erinnerung an das Gespräch mit dem Therapeuten reichte, um ihn zur Weißglut zu bringen. Er hielt das Handy so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Er zwang sich, loszulassen. Er hatte immer noch nicht entschieden, ob er zur nächsten Sitzung erscheinen würde. Immerhin hatte er jetzt einen Fall zu lösen. Es blieb ihm nicht unendlich viel Zeit, um Chucks Bitte nachzukommen. Vielleicht könnte er die Sitzung verschieben, statt sie komplett abzusagen? Maggie bräuchte nichts davon zu erfahren.
Das Haus sah irgendwie so aus, wie er es sich vorgestellt hatte: baufällig, einsam, auf einem kleinen Hügel. Die Bäume hatten ihre toten Blätter auf den Rasen geworfen, und offenbar versuchte niemand, der Laubmassen Herr zu werden. Auf der Veranda hing ein Windspiel, das in der momentanen Flaute keinen Ton von sich gab. Jones stieg aus dem Auto und lief über die Einfahrt zum Haus. Anders als erwartet fühlte er keine Angst, sondern nur eine brennende Neugier. Deswegen hatte er seinen Job immer so geliebt.
Er betrat die Veranda und wurde von einer fetten Katze in Augenschein genommen, die auf dem Fensterbrett lag. Mit müder Verachtung zwinkerte sie ihm zu, als er in Ermangelung einer Klingel dreimal anklopfte. Er wartete kurz und klopfte noch einmal.
In der Einfahrt stand ihr Auto, der beigefarbene Toyota, den er am Vortag gesehen hatte. Hätte ihm da irgendjemand erzählt, er werde innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden Eloise Montgomery zu Hause aufsuchen, hätte Jones kein Wort geglaubt. Gerade wollte er noch einmal klopfen, als er sich seiner Stellung bewusst wurde. Er war kein Polizist mehr. Sie brauchte nicht mit ihm zu sprechen, wenn sie es nicht wollte. Im selben Moment öffnete sie ihm die Tür. Ohne den Wintermantel wirkte sie noch zierlicher.
»Hm«, sagte sie, »das hätte ich nie gedacht.«
»Auch eine Hellseherin kann nicht alles wissen.«
»Wie wahr.«
Sie trat zurück und bat ihn herein. Damit hatte er nicht gerechnet. Immerhin war er gestern nicht sehr höflich zu ihr gewesen.
»Ich bin nicht wegen Ihrer Voraussage hier«, erklärte er und trat ein. Im Haus war es noch kälter als draußen.
»Nicht?«
»Nein. Ich arbeite für die Kriminalpolizei von The Hollows. Ich habe ein paar Fragen bezüglich Marla Holt.«
Eloise schien sich ein Lächeln zu verkneifen.
»Um eins richtigzustellen: Michael Holt hat Ray Muldune beauftragt, und der wiederum hat sich an mich gewandt. Ich habe kaum etwas mit dem Fall zu tun. Ich bin erst gestern, nach dem Besuch bei Ihnen, auf sie aufmerksam geworden.«
Sauberer Parkettboden, an der Wand alte Fotografien, ein sonniges, aufgeräumtes Wohnzimmer, Möbel auf geschwungenen Füßchen und Häkeldecken auf allen
Weitere Kostenlose Bücher