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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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setzte sich ins Auto und rief Willow an, landete aber gleich auf der Mailbox. In der inzwischen vertrauten Trance aus Angst und Zorn startete sie den Motor und fuhr zur Schule.
    Als Bethany sich zum ersten Mal auf die Suche nach ihrer Tochter gemacht hatte, wohnten sie noch in New York. Es war acht Uhr abends und tiefster Winter. Bethany hatte Richard längst gebeten auszuziehen, und sie und Willow lebten seit etwa einem Monat allein. Alles hatte mit diesem gottverdammten Britney-Spears-Konzert angefangen, die Lügen, das Chaos.
    Als Bethany den fast leeren Schulparkplatz erreichte, ermahnte sie sich, ruhig zu bleiben. In der Schule brannte noch Licht. Sie parkte vor dem Haupteingang und stieg aus dem Auto, das Handy in der Hand. Die Hollows High war eine typische Ostküstenschule – ein niedriger, langgezogener Betonbau mit Flachdach. Als Bethany durch die Tür trat, lösten die Sinneseindrücke eine Welle der Erinnerungen aus. Sie hatte die High School ebenso gehasst wie Willow, hatte sich genauso deplatziert gefühlt.
    Willow lügt, weil sie fürchtet, in den Augen ihrer Altersgenossen unzulänglich zu erscheinen , hatte Dr. Cooper ihr beim letzten Mal erklärt. Bethany hatte Verständnis dafür, denn sie hatte sich als Teenager ähnlich gefühlt. Sie hingegen hatte sich beim Schreiben ausgetobt.
    Ich liebe sie so sehr. Ich habe sie immer so akzeptiert, wie sie ist, das weiß sie.
    Wenn es unseren Kindern schlecht geht, fühlen wir uns instinktiv verantwortlich. Aber nicht immer tragen wir die Schuld. Willow macht eigene Erfahrungen, die Sie nicht beeinflussen können. Sie entscheidet selbst, wie sie mit ihren Problemen umgeht.
    Aber war das nicht bloß pseudomodernes Psycho-Gebrabbel? Eltern waren für ihre Kinder verantwortlich, basta. Ging es einem Kind nicht gut, war es doch wohl berechtigt, den Fehler bei den Eltern zu suchen. Natürlich konnte Bethany nichts dafür, dass Willows Vater gestorben war. Aber mit Richard hatte sie eine schlechte Wahl getroffen. Ihre Ehe war unglücklich gewesen. So gesehen war Bethany, seit Willow auf der Welt war, nie wirklich glücklich gewesen. Das musste doch irgendwie auf ihre Tochter abgefärbt haben.
    Mit diesen Gedanken lief Bethany auf dem gesprenkelten Linoleumboden an den grüngestrichenen Spinden vorbei. Im Lehrerzimmer brannte noch Licht, aber die Schreibtische waren leer und alle Computer ausgeschaltet.
    »Hallo?«, rief sie.
    »Hallo?«, antwortete eine Männerstimme. Einen Augenblick später trat Henry Ivy auf den Flur. Bethany wurde rot. Er sah so … seriös aus. Sie schämte sich dafür, dass Willow ihr Versprechen so schnell gebrochen hatte, aber sie sah keinen anderen Ausweg.
    »Willow ist nicht mit dem letzten Schulbus nach Hause gekommen.«
    Bethany versuchte, nicht panisch zu klingen, dabei fühlte sie nichts als Panik. Ihr Magen zog sich zusammen, und sie war den Tränen nahe.
    Sie wusste noch genau, wie sie sich gefühlt hatte, als sie Evelyn Coates anrufen musste – war das tatsächlich schon ein Jahr her? Angeblich war Willow im Loft der Familie Coates in Tribeca, um dort eine DVD zu schauen und zu übernachten.
    »Beth«, hatte Evelyn gesagt, und Bethany erinnerte sich, wie schnell sie den besorgten Unterton herausgehört hatte. »Willow ist nicht hier. Zoe ist hier bei mir, wir sitzen auf dem Sofa und sehen fern.«
    In dem Moment wurde sie von Angst und Sorge überwältigt, aber auch, sie musste es zugeben, von Hass auf Evelyn, die die perfekte Ehe führte, ein perfektes Leben hatte und deren perfekte Tochter sich stets an ihre Abmachungen hielt.
    Bethany war in ein Taxi gesprungen und stand eine knappe halbe Stunde später im Eingangsbereich des Lofts der superreichen Coates, wo Zoe ihr beichtete, Willow habe einen älteren Freund, den sie beim Britney-Spears-Konzert kennengelernt habe. Zoe hatte nicht lügen wollen, aber genauso wenig wollte sie, dass ihre Freundin Ärger bekam. Also hatte sie Willow zugesagt, sie zu decken.
    »Aber Willow hat dieses Konzert nie besucht«, hatte Bethany unüberlegt gestammelt, »ich verstehe nicht.«
    »Doch, sie war da! Oder etwa nicht?«
    »Nein«, sagte Bethany, ohne zu merken, was sie gerade anrichtete. »Ihr Vater wurde in der Praxis aufgehalten und konnte nicht mit ihr hingehen.«
    Am besten konnte Bethany sich an Evelyns Gesichtsausdruck erinnern, eine gezwungene Maske aus Mitleid und Besorgnis, die nur mangelhaft verbarg, dass Evelyn sich diebisch freute, sich überlegen fühlte und dankbar war, nicht an

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