Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
Bethany Graves’ Stelle zu sein.
»Wo wollte sie heute Abend hin, Zoe? Ist sie jetzt bei ihm?«
Zoe zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Wenn sie wegen des Konzertes gelogen hat, ist die Geschichte von dem Jungen auch gelogen. Ich weiß nicht, wo sie ist.«
In dem Moment wurde Bethany klar, dass sie Willow enttarnt und die Lügen ans Tageslicht gezerrt hatte, die Willow ihren Freundinnen erzählt hatte. Sobald sie gegangen war, würde Zoe sämtliche Freunde und Bekannte über SMS , Facebook und E-Mail über Willows Lügengeschichten aufklären.
»Was hat sie denn gesagt , was sie tun wird?«
»Einfach nur rumhängen. Wo, hat sie nicht gesagt.«
»Und danach kommt sie hierher?«
Zoe schaute zu Boden und schüttelte den Kopf.
»Wie bitte? Sie will die Nacht mit irgendeinem Jungen verbringen und erst morgen nach Hause kommen?« Bethany hasste sich selbst für ihre schrille Stimme, aber sie hatte sich nicht länger im Griff. Wo plante ihre dreizehnjährige Tochter, die Nacht zu verbringen, wenn nicht daheim oder bei einer Freundin? Und wie konnte Bethany nur übersehen, dass Willow eine ausgebuffte Lügnerin war?
Wieder zuckte Zoe die Achseln.
»Tut mir leid, Mrs. Graves.«
Bethany fühlte, wie der Boden unter ihren Füßen zu schwanken begann.
So ähnlich fühlte sie sich jetzt, als sie Henry Ivy gegenüberstand, der sich so rührend für Willow eingesetzt und ihr eine Chance gegeben hatte.
»Sie wollte in der Schulbücherei lernen«, sagte Bethany. »Ich habe dort angerufen, und die Bibliothekarin hat das bestätigt.«
»Tja, dann sollten wir Mrs. Teaford direkt fragen«, sagte Mr. Ivy. Der Klang seiner Stimme beruhigte Bethany. »Die Bücherei hat bis fünf geöffnet. Vielleicht ist Willow noch dort und hat einfach nur die Zeit vergessen.«
»Vielleicht«, sagte Bethany und fühlte neue Hoffnung, die sich aber gleich wieder zerschlug, als sie die Bücherei betraten. Alle sichtbaren Arbeitsplätze waren leer, und der hintere Teil des Saales lag im Dunkeln. Mrs. Teaford schaute von ihrem Monitor auf, sie hatte sich bereits ihren Mantel übergezogen und neben ihrem Stuhl standen ihre Taschen. Sie war gerade dabei, Feierabend zu machen.
»Oh, Willow war hier. Ich weiß aber nicht genau, wann sie gegangen ist. Jolie Marsh war bei ihr. Normalerweise machen die beiden nur Unsinn, sodass ich sie trennen muss, aber heute waren sie ganz leise und saßen brav über ihren Büchern. Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie gegangen sind.«
»Müssen sie sich nicht abmelden?«, fragte Bethany.
»Nicht nach Schulschluss«, erklärte Mrs. Teaford mit einem mitleidigen Lächeln. Bethany kannte den Ausdruck, denn sie hatte ihn unzählige Male im Gesicht von Pädagogen gesehen; er war reserviert für Eltern, die ihren Nachwuchs ganz offensichtlich nicht mehr unter Kontrolle hatten. Eine mitleidige Maske, die ihre Verachtung kaum verbarg.
Draußen im Flur versuchte Bethany noch einmal, Willow auf dem Handy anzurufen. Wieder nur die Mailbox. Bethany ärgerte sich darüber, denn Willow wusste genau, dass sie sich aufs Glatteis begab. Nach dem Zwischenfall im Wald hatte Bethany erst gedroht, das Handy einzukassieren, es Willow dann aber zurückgegeben. Schließlich sollte ihre Tochter im Notfall erreichbar sein. Sie hatte sie jedoch gewarnt, dass sie ihr das Handy sofort wegnehmen würde, wenn sie Bethanys Anrufe nicht annahm. Warum meldete Willow sich nicht? Warum hatte sie nicht angerufen? Bethany wusste, dass es in The Hollows Gegenden ohne Funkmasten gab und der Empfang an manchen Orten nur schwach war. Aber es war schon fast fünf. Willow musste wissen, dass Bethany krank vor Sorge war; inzwischen hätte sie längst anrufen müssen.
»Okay«, sagte Henry, »lassen Sie uns nachdenken. Wo könnte sie hingegangen sein? Ich weiß, dass einige unserer Schüler den alten Friedhof am Ende der Straße als Treffpunkt nutzen.«
Bethany erinnerte sich daran, wie Willow erzählt hatte, der Friedhof mache ihr Angst. Sicher würde sie ihn nicht freiwillig aufsuchen. Bethany äußerte ihre Zweifel.
»Wir sollten trotzdem dort vorbeifahren und nachsehen.«
Bethany drückte noch einmal auf Wahlwiederholung. Im selben Moment entdeckte sie einen Fremden, der auf sie zukam. Seine massige, hochgewachsene Gestalt füllte den Flur aus, seine langsamen, entspannten Bewegungen strahlten eine natürliche Autorität aus. Er kam Bethany bekannt vor, aber sie konnte sein Gesicht nicht einordnen.
»Hey, Henry«, sagte er und streckte die Hand
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