Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
keine unsicheren Faktoren. Keine wilden Gefühle, keine Panikattacken, keinen Druck, zu sein, was man nicht war. Aber da draußen in der realen Welt ging es anders zu. Da draußen haute es einen um, wenn man nur einen Augenblick nicht aufpasste. Und wenn man mitgerissen wurde wie ein abgerissener Ast von einem reißenden Strom, nützten einem alle guten Vorsätze und alle Versprechungen nichts.
ZWANZIG
J ones konnte nur schlecht damit leben, wenn Maggie sauer auf ihn war, trotzdem würde er seinem Tagwerk nachgehen. Eine Sache hatte er an The Hollows immer schon verabscheut: Irgendeiner schaute immer zu, konnte es nicht lassen, zum Telefon zu greifen und zu tratschen. Maggie hatte mit Henry gesprochen und erfahren, dass er nicht bei Dr. Dahl gewesen war. Das Gespräch vom Morgen hallte noch in seinem Kopf wider.
»Am meisten stört mich, dass du genau weißt, wie wichtig mir deine Therapie ist. Ich habe genau hier gesessen und mit dir darüber gesprochen«, sagte Maggie und klopfte zur Betonung auf die Lehne des Esszimmerstuhls. »Aber dir ist das völlig egal!«
»Ich habe die Therapie nicht abgebrochen, Maggie«, verteidigte sich Jones. »Ich habe lediglich eine Sitzung verschoben. Du übertreibst.« Das war gelogen.
Maggie stemmte die Hände in die Hüften und zog die Augenbrauen hoch.
»Wann? Wann ist die nächste Sitzung?«
»Morgen.«
»Um wie viel Uhr?«
»Um vier.«
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu.
»Ich habe jetzt eine Patientin«, sagte sie, nahm ihre Kaffeetasse vom Küchentresen und ging zu der Tür, die den Wohnbereich von Sprech- und Wartezimmer trennte.
»Es ist mir nicht egal«, rief Jones ihr nach, »mir ist die Therapie auch wichtig!«
Sie drehte sich noch einmal zu ihm um. Ihr Ausdruck gefiel ihm nicht – sie war traurig, enttäuscht. Wenn sie wütend und gereizt gewesen wäre, hätte er es besser verkraftet. Daran war er gewöhnt. Alle Frauen ärgerten sich dann und wann über ihren Mann, oder? Und Maggies Wut verrauchte schnell, verwandelte sich urplötzlich in ein Lächeln, ein Schmunzeln. Aber traurig? Das war beunruhigend.
»Weißt du, was?«, sagte sie, »ich glaube dir nicht. Wenn du jetzt wieder für die Polizei arbeitest, wirst du bald bis zum Hals in Arbeit stecken und vergessen, dass du eigentlich an dir selbst arbeiten solltest.«
Natürlich hatte sie recht. Jones konnte jetzt schon erahnen, welche Erleichterung ihm die neue Aufgabe verschaffen würde. Diese ständige Nabelschau war doch nicht gesund.
»Ich dachte, du wolltest, dass ich wieder arbeite. Du hast gesagt, es würde mir guttun.«
Sie verdrehte die Augen, als habe er etwas Idiotisches gesagt.
»Nicht wenn du es als Ausrede benutzt, um dich um nichts anderes mehr kümmern zu müssen. Außerdem«, fügte sie an, »hat die Sekretärin von Dr. Dahl angerufen und gefragt, wann die Sitzung nachgeholt werden soll, die du heute abgesagt hast.«
Jones schwieg, versuchte es mit einem hilflosen Lächeln, aber Maggie zeigte ihm die kalte Schulter.
»Dann lügen wir uns jetzt an?«, fragte sie und zog die Tür hinter sich zu, ohne eine Antwort abzuwarten. Weg war sie. Und ausgerechnet sie predigte, man dürfe sich nicht hinter seiner Arbeit verstecken?
Jones dachte an diese Unterhaltung, als er vor dem Haus der Familie Holt einparkte. Der Pick-up von Michael Holt stand in der Einfahrt. Das Haus sah unbewohnt aus, und sogar das »Zu verkaufen«-Schild im Vorgarten wirkte verloren, wie es da aus dem kniehohen Unkraut ragte.
Jones hatte Chuck bereits über das Erdloch auf der Lichtung informiert. Um dort ein Team graben zu lassen, würde Chuck sich eine richterliche Anordnung besorgen müssen. Aber die Beweise waren dünn. Was wiederum bedeutete, dass der Fall Marla Holt neu aufgerollt werden musste, woran Chuck kein Interesse hatte.
Jones hatte ihn darauf hingewiesen, dass sich das Waldstück in Privatbesitz befand. Man könne sich die Erdarbeiten von der Familie Grove genehmigen lassen, den Dienstweg umgehen und ohne großes Aufheben ein paar Männer mit Schaufeln in den Wald schicken. Und falls sie nicht fündig wurden, entstand für niemand daraus ein Nachteil. Sie hätten niemanden grundlos gestört. Falls sie fündig wurden, könnte ihnen niemand vorwerfen, ungelöste Fälle aus Bequemlichkeit zu vernachlässigen. Aber Chuck war skeptisch gewesen, er konnte sich nicht vorstellen, dass die Groves mit der Kriminalpolizei kooperieren würden.
Vor einem Jahr hatte Jones einen Cousin der Groves aus einem
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