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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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eingestürzten Schacht geborgen, und so etwas vergaß die Familie nicht.
    »Soll ich sie um den Gefallen bitten?«, hatte er Chuck gefragt. Chuck wollte, dass Jones zunächst bei Michael Holt vorfühlte. Hatte er sich in etwas verbissen? Oder würde er die Stadt ein für alle Mal verlassen, sobald der Nachlass seines Vaters geregelt war? Mit anderen Worten: Ließ sich das Problem aussitzen?
    Chucks Abteilung war unterbesetzt, deswegen hatte er kein Interesse, alte Fälle neu aufzurollen. Jones hätte an seiner Stelle ähnlich argumentiert, denn so stellte die Polizeichefin, Marion Butler, sich ihre Abteilungen vor. Sie wollte Ruhe und Ordnung, Fälle wurden gelöst oder die Akte geschlossen. Sie widersetzte sich, alte Fälle neu aufzurollen, es sei denn, damit wurde eine Fehlentscheidung richtiggestellt, eine alte Ungerechtigkeit ausgebügelt.
    Aber nun, als freier Mitarbeiter, kümmerten Jones diese Vorbehalte nicht. Er hätte nicht behaupten können, der Fall Holt sei ihm besonders nah gegangen, aber jetzt, da sich neue Fragen stellten, wollte er Antworten. Er erinnerte sich noch zu gut an das Unbehagen, mit dem er die Ermittlungen damals abgeschlossen hatte. Es war wie ein Verwesungsgeruch, der nicht lokalisiert werden konnte, wie ein hartnäckiger Gestank, der sich durch Lüften nicht vertreiben ließ. Damals war Jones Cooper jedoch noch nicht so weit, seinen Instinkten zu folgen.
    Er stieg aus dem Auto und lief zum Haus. Das Handy in seiner Hosentasche fing zu vibrieren an. Er zog es heraus und erkannte die Nummer von Paula Carr. Er drückte auf »ignorieren«. Er hatte sich nach Cole Carrs Mutter erkundigt, war aber noch nicht weit gekommen. Er konnte sich nicht auf seine Aufgabe konzentrieren und gleichzeitig mit Paula Carr telefonieren. Jones war kein Multitasker und fragte sich, wie die Leute es schafften, ihre Arbeit zu erledigen, obwohl es ständig irgendwo piepte, vibrierte oder klingelte – E-Mails, SMS , dieses blöde Spacebook oder MyFace oder wie auch immer es hieß, Ricky schien ganz besessen davon. Dad, du und Mom braucht eine eigene Seite. Eine tolle Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben … Junge, wie wäre es, wenn wir einfach telefonieren?
    Anscheinend glaubte Rickys Generation, alle müssten ständig erfahren, was man gerade tat, dachte oder fühlte, und zwar im Sekundentakt. Er fragte sich, ob es Angst war oder reiner Narzissmus – zu glauben, alle Welt interessiere sich dafür, ob man gerade zum Shoppen fuhr, zu glauben, man sei unsichtbar und entbehrlich, sobald man mit seinen Gedanken und Plänen allein war. Entweder man war Teil des reißenden Informationsflusses, oder man ging sang- und klanglos darin unter. Als Jones jung war, hatten sie nicht einmal ein schnurloses Telefon besessen. Wenn er früher ungestört telefonieren wollte, zog er an der Schnur so weit es ging und stellte sich mit dem Hörer in die Speisekammer. Und selbst dann bekam er manchmal mit, wie seine Mutter heimlich vom Zweitapparat im Schlafzimmer aus mithörte. Abigail konnte es nicht ertragen, wenn er sich auch nur einen Zentimeter Freiraum erbat.
    Als er in der Einfahrt stand, überlegte er sich, dass er seinen Therapeuten hätte anrufen sollen, um einen neuen Termin auszumachen. Hatte er aber nicht. Etwas in seinem Innern sträubte sich mit aller Macht. Ja, er würde einen neuen Termin vereinbaren – wenn er so weit war.
    Er hob die Hand, um anzuklopfen, und merkte im selben Augenblick, dass die Tür nicht ganz geschlossen war; bei der ersten Berührung schwang sie quietschend auf.
    »Hallo? Michael Holt?«
    Jones hielt die Tür fest und schlug mit der freien Hand dagegen. Sobald er losließ, ging sie wieder auf und gab den Blick in den von Zeitungsstapeln gesäumten Flur frei. Jones’ Hand tastete nach der Waffe, die er nicht bei sich trug. Die Geste stammte aus einer Zeit, in der er fremde Gebäude betreten hatte, in denen unbekannte Gefahren lauerten. Ricky wäre stolz auf seinen alten Herrn gewesen. Jones hatte Michael Holt am Vorabend gegoogelt, weil Henry Ivy seine Neugier geweckt hatte. Jones hatte Holts aufwändige Internetseite gefunden, auf der der junge Höhlenforscher detailliert über die alten Bergwerke, ihre Lage und Geschichte informierte. Und er hatte jede Menge historischer Fotografien von Tunneln und verborgenen Mineneingängen ins Netz gestellt. Auf der Webseite präsentierte Michael sich als Fremdenführer, Gastredner und »Berater für Regisseure, Schriftsteller und Fernsehproduzenten«.

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