Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
Minen in der Umgebung zu erforschen und die Gegend zu kartografieren.« Holt wiederholte die Geschichte, die er schon Bethany Graves erzählt hatte. Selbst aus seinem Mund klang sie unglaubwürdig. Jones hatte sogar im Internet recherchiert, ohne etwas darüber zu finden.
»Verläuft dort, wo Sie gegraben haben, überhaupt ein Tunnel? Ich habe nirgendwo einen Mineneingang oder Ähnliches entdecken können.«
Ein langsames, träges Blinzeln. Offenbar musste Holt erst einmal die Tatsache verarbeiten, dass Jones den Grabungsort entdeckt hatte.
»Ich habe nichts gefunden«, sagte er.
»Warum dort? Ich bin neugierig.«
Michael rutschte auf dem Sessel hin und her.
»Keine Ahnung. Nur so ein Gefühl.«
Jones nickte.
»Das kenne ich. Ihre Tätigkeit … Sie arbeiten als Historiker, als Fremdenführer?«
Michael Holt rieb an einem Fleck auf seiner Hose.
»Sowohl als auch«, sagte er. »Ich versuche, die Geschichte der Gegend aufzuzeichnen. Der Erdboden verhält sich wie eine zähe Flüssigkeit. Er sinkt ab und fließt dahin wie Wasser, er überdeckt Gegenstände und reißt sie mit sich, bis sie tief vergraben sind. Ich fotografiere so viel wie möglich, schreibe die alten Sagen und Legenden auf, halte alles fest. Ich betreibe eine Webseite. Ich arbeite an einem Buch.«
Jones nickte bedächtig. Der Mann war Ende dreißig und ledig, kroch in Minen herum und suchte nach seiner verschwundenen Mutter.
»Und davon kann man leben?« Maggie hätte bei dieser Frage das Gesicht verzogen. Viel zu offensiv und aufdringlich, hätte sie gesagt. Du bist kein Polizist mehr, hätte sie ihn ermahnt.
»Ich komme zurecht«, wich Holt aus.
Klar, das sehe ich, dachte Jones, aber er schwieg. Vermutlich würde sich, wenn er Holts Finanzen, Ex-Arbeitgeber und Kreditwürdigkeit unter die Lupe nahm, herausstellen, dass der Kerl keinen Penny besaß. Wahrscheinlich besaß er nicht mehr als dieses Haus und den Müll, den sein Vater ihm vermacht hatte.
»Mein Vater und ich hatten kein gutes Verhältnis«, sagte Holt. »Ich war immer der Meinung, er verheimliche uns die Wahrheit über das Verschwinden meiner Mutter. Und nun, da er tot ist, will ich herausfinden, ob es stimmt.«
Jones beschloss, weiter zu schweigen. Die meisten Leute konnten mit der Stille nicht umgehen und fingen irgendwann an zu reden.
»Sie hätte uns niemals verlassen«, fuhr Michael fort. »Ihn vielleicht, aber nicht uns. Sie hat mir immer wieder versichert, ich sei ihre ganze Welt, ohne mich wolle sie nicht leben. Und da soll sie sich all die Jahre nicht bei uns gemeldet haben? Da stimmt doch etwas nicht. Das sieht ihr nicht ähnlich. Nie und nimmer hätte sie mich verlassen.«
Jones hörte den Trotz und die Wut heraus, den Zorn des kleinen Jungen. Er brodelte unter der Oberfläche und verzehrte den Mann bei lebendigem Leib. Jones erinnerte sich an das Jahr 1987, als Michaels dunkle Gestalt am Kopf der Treppe aufgetaucht war. Schon damals war er ein Hüne gewesen.
Jones hätte niemals gefragt, aber Holt sprach es selbst aus: »Ich glaube, sie ist tot.«
»Glauben Sie, dass Ihr Vater sie ermordet hat? Sind Sie aus dem Grund zurückgekehrt? Jetzt, da er tot ist, wollen Sie endlich die Wahrheit erfahren.«
Holt legte sich eine Hand über die Augen und schüttelte den Kopf. Er schwieg, und Jones bereute seine Frage. Er hatte sich zu schroff ausgedrückt; selbst wenn Holt auch auf den Gedanken gekommen war, würde er ihn noch lange nicht laut aussprechen. Jones fürchtete, dass die Unterhaltung bald zu Ende war. Er war kein Ermittler mehr und hatte nicht das Recht, Zeugen zu bedrängen. Als Michael Holt den Kopf hob, sah Jones nichts als einen verzweifelten, traurigen jungen Mann.
»Mr. Cooper, ich fühle mich nicht gut. Haben Sie noch eine Frage, oder finden Sie allein hinaus?«
Dann stand er auf und verließ das Wohnzimmer. Kurz darauf hörte Jones ihn wieder in der Küche hämmern. Er stand auf und ging.
Als er wieder im Auto saß, rief er Chuck an.
»Ich würde dir dringend raten, jemanden zum Graben in den Wald zu schicken. Ich werde Bill Grove anrufen und dir eine Erlaubnis besorgen, kein Problem.«
Er hörte, wie Chuck am anderen Ende der Leitung mit Papieren raschelte.
»Ach ja? Was werden wir deiner Ansicht nach finden?«
»Keine Ahnung.« Das war gelogen, Jones hatte sehr wohl eine Ahnung.
Chuck hatte sich etwas in den Mund gesteckt und kaute ungeniert.
»Was glaubst du, Jones?«
Das Problem würde sich nicht von allein erledigen, denn Michael Holt
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