Gnade
Kratzwunde, und Michelle biss sich auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien.
»Wohin jetzt?«, flüsterte sie.
»Nach vorn. Aber warte erst mal hier.« Theo zog seinen Revolver. Dann schlich er an der Hauswand entlang, duckte sich und spähte zur Einfahrt hinüber. Die Motorhaube seines Autos stand offen, das hieß, dass die Mistkerle offenbar dafür gesorgt hatten, dass es nicht mehr funktionstüchtig war. Er hatte aber keine Lust, inmitten von dichtem Gestrüpp auf diese Killer zu warten. Vielleicht schafften er und Michelle es ungesehen bis zur Straße und konnten dann Richtung Kreuzung laufen.
Theo blickte die Straße hinauf und sah, dass ein Wagen etwas weiter oben parkte. Er hätte ihn nicht entdeckt, wenn nicht plötzlich die Bremslichter aufgeleuchtet hätten. Wer auch immer darin saß, war aus Versehen auf die Bremse getreten. Eine Sekunde später war wieder alles dunkel.
Theo schlich zu Michelle zurück. »Wir müssen versuchen, dein Boot zu erreichen. Das ist der einzige Weg, wie wir hier wegkommen.«
»Dann los!«
Sie schafften es bis zum Steg, dann wurden sie entdeckt. Ein helles Licht aus einem der oberen Fenster erfasste sie, und Theo stieß Michelle hastig zu Boden. Dann drehte er sich um und schoss. Ob er jemanden getroffen hatte? Das Licht ging aus, und er hörte Schreie.
»Gib mir deine Taschenlampe«, keuchte er.
Michelle zog sie rasch aus dem Hosenbund. Er nahm die Lampe und streckte den Arm seitlich aus, damit das Licht nicht direkt vor ihnen aufleuchtete. Er drückte Michelle erneut auf den Boden und versuchte sie zu decken, dann flüsterte er: »Verhalte dich still«, und knipste die Lampe an.
Der Strahl erfasste einen der Kerle, der gerade vom Haus aus auf sie zulief. Michelle schnappte nach Luft. Sie hatte den Mann auf Anhieb erkannt und war überrascht.
Theo schoss zweimal, dann knipste er die Lampe wieder aus. Kugeln zischten um ihre Köpfe und zwangen sie, sich flach auf die Erde zu legen. Theo richtete die Taschenlampe auf das fremde Boot und schaltete sie ein. Dort stand ein weiterer Mann und erwartete sie bereits. Er war in die Hocke gegangen und schien mit einem High-Power-Gewehr auf sie zu zielen. Theo schoss. Die Kugel traf den Motor. Er schoss noch einmal, woraufhin der Mann flink ins Wasser sprang.
Theo machte die Taschenlampe aus, riss Michelle auf die Füße und schrie: »Los!« Erneut pfiffen ihnen Schüsse um die Ohren und schlugen in die umliegenden Bäume und den Steg ein. Michelle schlitterte über das nasse Holz der Anlegestelle und hielt sich an einem Pfosten fest, um nicht ins Wasser zu fallen. Dann machte sie sich eilends daran, das Tau des fremden Bootes zu lösen. Theo hatte ihres bereits losgemacht, jetzt sprang er hinein und zog an der Schnur, um den Motor zu starten.
Michelle gelang es endlich, den Knoten zu entwirren, und sie stieß das Boot mit aller Kraft vom Steg weg. Theo rief ihr zu, dass sie sich beeilen solle. Schnell hüpfte sie in ihr Boot. Gerade als der Motor ansprang, landete sie unsanft neben Theo. Ein Kugelhagel schlug direkt neben ihnen ins Wasser.
Theo versuchte, Michelle mit seinem Köper abzuschirmen. Während er das Boot in Richtung Norden steuerte und den Gashebel betätigte, duckte er sich gleichzeitig. Der Bug erhob sich aus dem Wasser, fiel wieder zurück, und dann machte das Boot einen gewaltigen Satz vorwärts.
Er warf einen Blick über die Schulter und sah zwei Männer mit Taschenlampen durch den Garten rennen. Einer von ihnen hechtete ins Wasser. Theo schätzte, dass er und Michelle etwa eine halbe Minute Vorsprung hatten. Er setzte sich auf die Bank und erlaubte auch Michelle, sich aufzurichten.
Sobald sie den Kopf hob, erkannte sie, dass sie sich rasch vom Ufer entfernten und geradewegs auf die unbevölkerten Arme des Bayous zuhielten. »Du musst umdrehen!«, sagte sie.
»Nein. Dazu ist es zu spät. Sie haben die Verfolgung bereits aufgenommen. Leuchte mit der Taschenlampe voraus.«
Michelle setzte sich zwischen seine Knie und richtete den Lichtstrahl nach vorn. Das Licht bewahrte sie vor einer Katastrophe. Noch fünf Sekunden, und sie wären gegen einen Baumstamm geprallt, der vor ihnen ins Wasser ragte. Theo schwenkte rasant nach links, dann steuerte er wieder geradeaus.
»Gott sei Dank, dass du die Taschenlampe mitgenommen hast!«, flüsterte er.
»Da vorn ist eine scharfe Biegung«, sagte sie. »Fahr langsamer und dreh nach rechts. Links ist eine Sackgasse.«
Sie hielt sich an seinen Knien fest und wandte den
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