Gnade
Donner weckte Theo aus dem Tiefschlaf. Es klang, als wäre ein Feuerwerkskörper direkt im Zimmer explodiert. Das Bett bebte regelrecht. Die Nacht war pechschwarz, aber als Theo den Kopf wandte, sah er, dass Blitze über den Himmel zuckten. Draußen tobte ein höllisches Unwetter. Theo versuchte, wieder einzuschlafen, aber ihm war einfach zu heiß. Die Klimaanlage brummte, da jedoch das Fenster einen Spaltbreit offen stand, strömte die kalte Luft direkt nach draußen.
Michelle schlief tief und fest. Sie hatte sich an Theo gekuschelt, und eine Hand ruhte auf seinem Bauch. Theo drehte sie sanft auf den Rücken, küsste sie auf die Stirn, und als sie sich sofort wieder zu ihm rollte, lächelte er. Er erwog, sie zu wecken, weil er den Drang verspürte, ihr ganz nahe zu sein, aber dann warf er einen Blick auf die grün leuchtenden Ziffern des Weckers und entschied sich dagegen. Es war drei Uhr, er konnte sie unmöglich wecken. Sie brauchte schließlich ihren Schlaf genau wie er. Sie waren zwar schon um zehn ins Bett gegangen, aber erst weit nach Mitternacht eingeschlafen.
Wenn er am Samstag angeln wollte, musste er am nächsten Tag alles andere erledigen. Er hatte noch ein weiteres Treffen mit den Carsons und deren Anwälten verabredet, um die Details der Vereinbarung zu besprechen, und wenn er damit fertig war, wollte er Michelle in der Praxis helfen.
Michelle hatte sich dagegen gesträubt, den ganzen Samstag mit Angeln zu vergeuden, bis Theo ihr erzählte, dass er eine kleine Wette mit Noah abgeschlossen hatte. Wer von beiden zusammen mit seinem Partner die meisten Fische fing, musste dem Verlierer tausend Dollar zahlen.
Michelle war angesichts des hohen Einsatzes entsetzt gewesen. Wie konnte jemand so viel Geld, das sich weitaus besser nutzen ließ, für eine solche unsinnige Wette ausgeben? Doch sobald Theo ihr klar gemacht hatte, dass er die Wette nun nicht mehr zurücknehmen konnte, war sie fest entschlossen, Theo zum Sieg zu verhelfen. Sie prahlte damit, beim Angeln stets eine geheime Strategie zu verfolgen. Ihr Vater würde Noah zu seinem Lieblingsangelplatz mitten im Sumpf in der Nähe von John Pauls Hütte mitnehmen. Aber auf der anderen Seite des Bayous befand sich eine noch viel günstigere Stelle, wo es Fische gab, die so freundlich waren, praktisch von selbst ins Boot zu springen.
Theo erkundigte sich, warum sie ihrem Vater nie von diesem sagenhaften Fleckchen erzählt hatte. Sie wolle lediglich verhindern, dass ihr Dad allein dorthin fuhr, denn der Platz sei sehr abgelegen und in der Nähe trieben sich oftmals Raubtiere herum, erwiderte Michelle. Theo vermutete sofort, dass es sich dabei um Alligatoren handelte. Sie zerstreute seinen Verdacht nicht, bestätigte ihn jedoch genauso wenig. Es gelang ihr allerdings, ihn von den schaurigen Gedanken abzulenken, indem sie ihn küsste und langsam auszog. Sie nahm seine Hand und führte ihn zu ihrem Bett. Diese Methode hatte sofort gewirkt.
Vielleicht sollte er sich die abgesägte Flinte aus dem Schwan borgen und mit in den Sumpf nehmen. In dem Moment fiel ihm wieder ein, dass er eigentlich das Fenster schließen wollte. Er setzte sich auf, gähnte ausgiebig und schwang die Beine aus dem Bett. Sein Fuß verhedderte sich dabei im Laken. Als er aufstand, stolperte er und schlug sein lädiertes Knie gegen den Nachttisch. Der runde Messinggriff traf genau die empfindliche Stelle unter der Kniescheibe. Ein grauenvoller Schmerz schoss durch sein Bein, und es brannte wie Feuer. Leise fluchend ließ er sich aufs Bett zurückfallen und rieb sich das Knie.
»Theo, ist alles in Ordnung?«, flüsterte Michelle verschlafen.
»Ja, ich bin nur mit dem Knie angestoßen. Du hast das Fenster offen gelassen.«
Sie schob die Bettdecke weg. »Ich mache es zu.«
Er drückte sie sanft zurück aufs Kissen. »Schlaf weiter. Ich mach das schon.«
Sie erhob keine Einwände. Während er dasaß und sich das Knie massierte, lauschte er ihren tiefen, regelmäßigen Atemzügen. Wie konnte jemand nur so schnell wieder einschlafen? Dann kam ihm der Gedanke, dass sie nach dem langen Liebesspiel möglicherweise erschöpft war, und er fühlte sich sofort ein wenig besser. Als ihm klar wurde, wie machohaft diese Vorstellung war, musste er grinsen.
Er stand auf und hinkte zum Fenster. Er schob es ganz herunter, und genau in dem Augenblick erhellte ein Blitz die Nacht. Und Theo beobachtete, wie ein Mann direkt neben Michelles Vorgarten über die Straße rannte.
Was war denn das? Hatte er den
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