Gnade
nicht von den Anglern gesehen werden. Meinst du nicht auch, dass sie bald aufgeben?«
»Vielleicht«, räumte Theo ein. »Lass uns gehen.« Innerlich wappnete er sich gegen den Schmerz, der sein Knie im nächsten Moment durchfahren würde. Er stand auf und zog Michelle auf die Füße. »Halt dich ganz dicht am Straßenrand und mach die Taschenlampe lieber nicht an.«
»Okay. Aber wenn du sie hörst, schleudere mich nicht wieder einfach in den Graben, sondern sag mir vorher Bescheid. Mein Hintern ist sicher ein einziger blauer Fleck.«
Theo klang kein bisschen zerknirscht. »Besser ein blauer Fleck als eine Schussverletzung.«
Sie nieste. Das tat gut. »Da hast du Recht«, sagte sie.
»Kannst du rennen?«
»Kannst du denn?«, fragte sie, weil ihr aufgefallen war, dass er hinkte.
»Klar. Ich bin nur ein bisschen steif. Also los!«
Eine einzige Laterne beleuchtete den Parkplatz des Schwan. Theo ging kein Risiko ein und führte Michelle durchs Dickicht zur Hintertür des Hauses. Er linste durch ein Fenster, konnte aber nichts erkennen. Die Hintertür war aus Metall und abgeschlossen, also musste er wohl oder übel ein Fenster einschlagen. Er schaute sich nach einem Stein um.
»Ich steige durchs Fenster ein«, sagte er und hob einen geeigneten Brocken auf.
»Was hast du vor?«
»Ich schlage die Scheibe ein.«
»Nein, warte«, murmelte Michelle. »Ich weiß, wo Daddy einen zweiten Schlüssel versteckt hat.«
Theo ließ den Stein fallen. Michelle tastete den oberen Türrahmen nach dem Schlüssel ab.
»Ein wirklich gutes Versteck«, stellte Theo ironisch fest.
»Den Sarkasmus kannst du dir sparen! Kein Mensch denkt auch nur im Traum daran, in Dads Bar einzubrechen.«
»Warum nicht?«
»John Paul würde ihnen die Hölle heiß machen, und das wissen hier alle. Daddy könnte die Türen eigentlich auch unverschlossen lassen.«
Michelles Hände zitterten so sehr, dass sie mit dem Schlüssel nicht gleich das Schloss traf. Auswirkungen des Schocks, dachte sie bei sich. Theo ging voran und blinzelte in der Dunkelheit. Er zog Michelle hinter sich her und raunte ihr leise zu, dass sie die Tür absperren solle. Er hörte, wie sie den Riegel vorschob, und genau in dem Moment fing der Kühlschrank an zu brummen und zu vibrieren. Das Telefon stand im Schankraum auf der Theke. Theo glaubte, ein Geräusch gehört zu haben – wie eine knarrende Bodendiele.
»Bleib hier«, flüsterte er. Ehe er vorsichtig in die Bar schlich, zog er seine Waffe.
Das Licht vom Parkplatz erhellte den Barraum und warf Schatten auf die Tische und den Boden. In den Ecken hingegen war es stockfinster. Theo ging leise hinter den Tresen. Seine Augen hatten sich mittlerweile an das eigenartige Licht gewöhnt, und er richtete den Blick auf die halb geöffnete Tür des Vorratsraums. Hatten die Kerle vielleicht einen Mann zurückgelassen? Nein, das würde eigentlich keinen Sinn machen. Trotzdem behielt Theo die Tür im Auge und schlich weiter.
Genau in der Mitte der Theke blieb er stehen und tastete nach Jakes Flinte. Mit dieser Donnerbüchse würde er kein Ziel verfehlen. Seine Hand berührte den Schaft, und er nahm das Gewehr aus dem Fach. Doch bevor sich Theo umdrehen konnte, spürte er einen Lufthauch im Nacken. Er brauchte keinen Laut zu hören, um zu wissen, dass jemand hinter ihm stand.
31
»Michelle, lauf!«, brüllte Theo. Er ließ das Gewehr auf die Theke fallen, wirbelte herum und zog die Glock aus dem Holster.
Er konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, dazu war es zu dunkel. Der große Schatten schlug Theos Handgelenk zur Seite, aber Theo hielt den Revolver fest umklammert. Dann packte der Hüne seinen Arm und verdrehte ihn. Währenddessen schoss die andere Hand nach oben, um sein Kinn nach hinten zu drücken.
Theo duckte sich, war aber nicht schnell genug. Die Knöchel streiften sein Kinn und stießen seinen Kopf zurück. Ein sengender Schmerz schoss durch seinen Unterkiefer. Theo legte alle Kraft, die ihm noch geblieben war, in seine linke Faust und boxte dem Angreifer in den Bauch. Danach wusste er, dass er ernsthaft in Schwierigkeiten war. Es fühlte sich an, als hätte er auf einen Zementblock geschlagen, und er war fest davon überzeugt, sich die Hand gebrochen zu haben.
Woher kam dieser Mistkerl plötzlich? Und hatte er etwa auch Michelle erwischt? Voller Wut schlug Theo noch einmal zu. Mit der Geschwindigkeit eines Presslufthammers hob der Kerl einen Fuß und wollte Theo offenbar gegen das Knie treten.
In dem
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