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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Wagen?«
    »Ja.«
    »Dann muß das Ihr kleiner Junge gewesen sein. Er ist ein liebes Kind. Als ich letzte Woche herkam, war er vorne an der Straße und zeigte mir, wo die Perrys wohnen. Er war so höflich.
    Sie sind bestimmt sehr stolz auf ihn.« Marian zog ihren Handschuh aus und streckte Steve die Hand entgegen.
    »Ich… bin stolz auf Neil.« Unvermittelt drehte er ihr den Rücken zu und griff blind vor Tränen nach dem Türknauf. O Gott, bitte…
    Hugh fing rasch Marians Hand ab, wobei er aufpaßte, daß er den ungewöhnlichen Ring, den sie trug, nicht einquetschte. Ziemlich übertrieben, mit so etwas im Haushalt zu arbeiten, dachte er. Sein Gesichtsausdruck änderte sich leicht. »Ich hielt es für eine sehr gute Idee, Mr.
    Perry«, sagte er, »wenn Mrs. Vogler hierbliebe. Sie wissen, wie sehr Ihre Frau um den Haushalt besorgt ist. Ich würde sie heute anfangen lassen, genau wie es ursprünglich geplant war.«
    »Oh, ich verstehe… Sehr schön.« Roger sah Hugh an und begriff. Glaubte Hugh, diese Frau könnte etwas mit Neils Verschwinden zu tun haben?
    Verwirrt schaute Marian von Hugh zu Roger und Steve, der die Haustür öffnete. Vielleicht hielt er sie für vorlaut, weil sie ihm gleich die Hand schütteln wollte. Sollte sie sich entschuldigen? Schließlich war sie hier ja nur die Haushälterin. Sie wollte ihm schon auf die Schulter klopfen, besann sich jedoch eines Besseren und hielt Hugh nur schweigend die Tür auf. Als sie verlegen die Tür hinter den beiden Männern schloß, berührte der Mondsteinring den Türknauf und klirrte leise.

    Er wollte keine Memme sein. Er hatte versucht, die Tränen gewaltsam zurückzudrängen, aber es war wie bei den Asthmaanfällen: er konnte sie nicht zurückhalten. Er bekam dieses würgende Gefühl im Hals, seine Nase begann zu laufen, und dicke Tränen machten sein Gesicht ganz naß. Er weinte oft in der Schule. Er wußte, die anderen Kinder hielten ihn für eine Heulsuse und die Lehrerin ebenfalls, auch wenn sie deshalb nicht böse wurde.
    Es war nur so, daß ihn ständig etwas in seinem Innern plagte, so ein banges, beunruhigendes Gefühl. Es hatte am selben Tag angefangen, als Mami verletzt wurde und in den Himmel kam. Er hatte damals mit seiner Eisenbahn gespielt. Jetzt spielte er nie mehr damit.
    Als er an jenen Tag dachte, begann er schnell zu atmen. Er konnte nicht durch den Mund atmen wegen des Lappens, der darüber lag. Seine Brust hob und senkte sich immer heftiger.
    Er verschluckte sich, und ein Stück Stoff kam ihm in den Mund. Es fühlte sich dick und rauh an auf seiner Zunge. Er wollte sagen: »Ich kann nicht atmen.« Der Stoff schob sich noch weiter in seinen Mund. Er würgte. Er begann zu weinen.
    »Neil, hör auf damit.« Sharons Stimme klang merkwürdig leise und heiser, als würde sie irgendwo tief in ihrem Hals sprechen. Aber ihr Gesicht befand sich direkt neben seinem, und durch eine Art Tuch konnte er spüren, daß es sich beim Reden bewegte. Sie mußte ebenfalls etwas um den Mund gebunden haben.
    Wo waren sie? Es war so kalt hier und roch so schlecht. Er war zugedeckt, wahrscheinlich mit einer muffigen Decke. Seine Augen waren so eingequetscht, und es war so dunkel.
    Der Mann hatte die Tür aufgemacht und ihn umgeworfen. Er hatte sie beide gefesselt und Sharon fortgetragen. Dann war er zurückgekommen, und Neil hatte gefühlt, daß er hochgehoben und in einen Sack gesteckt wurde. Einmal hatten sie bei Sandy Verstecken gespielt, und er hatte sich in einem großen Sack für das Gartenlaub versteckt, den er in der Garage fand. Es hatte sich genauso angefühlt. Was dann geschehen war, wußte er nicht mehr.
    Er erinnerte sich erst wieder, daß Sharon ihn aus dem Sack herausgezogen hatte. Warum konnte er sich nicht erinnern? Es war wie damals, als Mami fiel.
    Er wollte nicht daran denken. Sharon sagte: »Atme langsam, Neil. Weine nicht, Neil. Du bist tapfer.«
    Sie hielt ihn wahrscheinlich auch für eine Memme. Heute abend, als sie kam, hatte er geweint, aber nur, weil Mrs. Luft, als er den Toast nicht essen und den Tee nicht trinken wollte, gesagt hatte: »Sieht aus, als müßten wir dich nach Florida mitnehmen, Neil. Irgendwie müssen wir dich doch wieder hochpäppeln.«
    Das war der Beweis. Wenn Dad Sharon heiratete, würde es genauso sein, wie Sandy gesagt hat. Niemand wollte kranke Kinder. Sie würde ihn mit den Lufts fortschicken.
    Da hatte er zu weinen angefangen.
    Aber Sharon schien nicht böse zu sein, weil er jetzt krank war. Mit ihrer komischen

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