Gnadenfrist
Alles schien ihm noch unwirklicher zu werden. »Was ist mit der Stimme?« fragte Hugh.
»Verstellt, glaube ich, sehr leise. Ich glaube nicht, daß jemand imstande wäre, sie zu identifizieren, selbst wenn es Ihnen gelungen wäre, das zweite Telefon anzuzapfen.«
Blind starrte er über die Straße und suchte verzweifelt nach einem Anhaltspunkt.
»Er versprach, eine Kassette beizubringen. Das bedeutet, sie sind wahrscheinlich noch am Leben.«
»Davon bin ich überzeugt.« Hugh ließ nichts von seiner nagenden Sorge verlauten, daß es praktisch unmöglich war, die Kassette noch vor dem Termin für die Übergabe des Lösegelds in Steves Hände gelangen zu lassen. Die Zeit reichte nicht aus, um sie per Post zu schicken, auch nicht, wenn sie per Eilboten zugestellt würde. Einem Botendienst konnte zu leicht nachgegangen werden. Und da der Entführer nicht wollte, daß seine Tat an die Öffentlichkeit drang, würde er weder bei einer Zeitung noch bei einer Radiostation etwas hinterlassen. »Wie steht’s mit dem Lösegeld?« fragte er Steve. »Können Sie heute noch 82000 Dollar auftreiben?«
»Ich selbst könnte keine fünf Cent aufbringen«, sagte Steve. »Ich habe so viel in die Zeitung gesteckt, daß ich absolut blank bin. Zweite Hypothek… Aber dank Neils Mutter kann ich das Geld aufbringen.«
»Neils Mutter?«
»Kurz bevor sie starb, erbte sie 75 000 Dollar von ihrer Großmutter. Ich habe das Geld für Neils Ausbildung bei einer New Yorker Bank angelegt. Mit den Zinsen müßte sich das jetzige Vermögen auf etwas über 82000 Dollar belaufen.«
»Etwas über 82 ooo Dollar. Mr. Peterson, wieviele Leute wissen von diesem Geld?«
»Ich weiß es nicht. Niemand außer meinem Anwalt und Steuerberater. Man geht damit doch nicht hausieren.« »Was ist mit Sharon Martin?«
»Ich entsinne mich nicht, es ihr gegenüber erwähnt zu haben.« »Aber es ist möglich, daß Sie es ihr erzählt haben?« »Ich glaube nicht, daß ich es getan habe.«
Hugh stieg die Eingangsstufen empor. »Mr. Peterson«, sagte er bedächtigt. »Sie müssen Ihr Gedächtnis jetzt nach jedem durchforschen, der etwas von dem Geld weiß. Dies und die Möglichkeit, daß Mrs. Perry die Stimme des Entführers identifiziert, sind unsere einzigen Handhaben.« Auf ihr Klingeln kam Roger sofort an die Tür. Er ließ sie eintreten, legte aber den Finger auf seine Lippen. Sein bleiches Gesicht und seine gebeugte Haltung verrieten, unter welcher Nervenbelastung er stand. »Der Arzt ist eben gegangen. Er gab Glenda ein Beruhigungsmittel. Sie weigert sich, ins Krankenhaus zu gehen; aber der Arzt glaubt, sie steht kurz vor einem zweiten Infarkt.«
»Mr. Perry, es tut mir leid. Aber wir müssen Ihre Frau bitten, sich die Aufnahme des ersten Anrufs von heute morgen anzuhören.«
»Das kann sie nicht! Nicht jetzt! Es wird sie töten!« Er ballte die Fäuste und schluckte.
»Steve, tut mir leid… Was ist geschehen?«
Steve berichtete, als wäre er völlig unbeteiligt. Er hatte noch immer das Gefühl, als geschähe dies alles nicht wirklich. Er kam sich vor, als beobachtete er eine Tragödie, in deren Ablauf er nicht einzugreifen vermochte.
Nach einer langen Pause sagte Roger langsam: »Glenda wollte nicht ins Krankenhaus, weil sie wußte, daß du sie brauchen würdest, um das Band anzuhören. Der Arzt hat ihr ein starkes Beruhigungsmittel gegeben. Wenn sie jetzt eine Weile schlafen könnte… Könntest du das Band später herüberbringen? Sie kann unmöglich aufstehen.«
»Selbstverständlich«, sagte Hugh.
Es läutete. »Das ist an der Küchentür«, sagte Roger. »Wer in aller Welt… O Gott, die neue Haushälterin. Die habe ich ganz vergessen.«
»Wie lange wird sie hierbleiben?« fragte Hugh rasch. »Vier Stunden.«
»Das geht nicht. Sie könnte etwas aufschnappen. Stellen Sie mich als den Arzt vor. Wenn wir gegangen sind, schicken Sie sie nach Hause. Sagen Sie ihr, Sie würden sie in ein bis zwei Tagen wieder anrufen. Wo wohnt sie?«
»In Carley.«
Es läutete wieder.
»War sie schon einmal hier?«
»Letzte Woche.«
»Wir müssen sie vielleicht überprüfen.«
»Gut.« Roger eilte zur Küchentür und kam mit Marian zurück. Hugh sah sich die sympatisch wirkende Frau genau an.
»Ich habe Mrs. Vogler erklärt, daß meine Frau krank ist«, sagte Roger. »Mrs. Vogler - mein Nachbar, Mr. Peterson, und - das ist Doktor Taylor.«
»Angenehm.« Ihre Stimme klang warm und ein wenig schüchtern. »Oh, Mr. Peterson, ist der Mercury draußen Ihr
Weitere Kostenlose Bücher