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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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auch Mrs. Thompson empfinden. Neil war Steves Sohn, und Steve hatte schon so viel durchgemacht. Steve mußte wahnsinnig sein vor Angst. Er und Mrs.
    Thompson litten die gleichen Höllenqualen.
    Sie nahm es Mrs. Thompson nicht übel, daß sie sie an gegriffen hatte. Sie konnte ja unmöglich gemeint haben, was sie sagte. Ron war schuldig. Niemand würde je etwas anderes glauben. Das konnte Mrs. Thompson nicht verstehen; deshalb begriff sie auch nicht, daß die einzig mögliche Hoffnung, ihren Sohn zu retten, in einem gewaltigen Aufschrei gegen die Hinrichtung bestand.
    Zumindest hatte sie, Sharon Martin, versucht, ihm zu helfen. Steve, o Steve, rief sie in Gedanken. Begreifst du jetzt endlich?
    Sie versuchte, die Schnüre, mit denen ihre Hände gefesselt waren, an der Wand aufzuscheuern. Die Steine aus Löschbeton waren rauh und schartig, aber so, wie die Fesseln angebracht waren, rieb sie sich nur die Knöchel und Handkanten an der Mauer wund.
    Sobald Foxy zurückkam, wollte sie ihn bitten, das WC benutzen zu dürfen. Dann mußte er ihr die Fesseln abnehmen. Vielleicht gelang es ihr dann irgendwie…
    Diese Bilder. Er hatte die Frauen getötet. Nur ein Verrückter machte von seinen Opfern Fotos und vergrößerte sie derart. Er hatte auch sie fotografiert.
    Die Bombe. Angenommen, jemand kam in dieses Zimmer? Wenn die Bombe losging, würden sie und Neil und wer weiß wieviele andere Menschen mit ihnen in die Luft fliegen.
    Wie stark mochte sie sein?
    Sie versuchte zu beten, aber ihr fielen keine anderen Worte ein als nur immer wieder:
    »Bitte, gib, daß Steve uns rechtzeitig findet. Bitte, nimm ihm nicht seinen Sohn.«
    So ähnlich mußte auch Mrs. Thompson beten: »Verschone meinen Sohn.«
    Ich mache Sie verantwortlich, Miß Martin…
    Die Zeit schlich dahin. Die Schmerzen in den Armen und Beinen ließen nach; sie fühlten sich nur noch taub an. Neil schlief. Manchmal stöhnte er und sein Atem stockte, dann holte er gierig Luft und fiel wieder in unruhigen Schlaf.
    Der Morgen nahte. Die Zuggeräusche wurden häufiger. Um welche Zeit öffnete der Bahnhof? Um fünf Uhr? Das müßte die jetzige Uhrzeit sein.
    Um acht würde es im Bahnhof von Menschen wimmeln. Angenommen, die Bombe ginge um diese Zeit los… Neil bewegte sich unruhig. Er murmelte etwas, aber sie konnte ihn nicht verstehen. Dann erwachte er. Neil versuchte die Augen zu öffnen. Es ging nicht. Er mußte dringend ins Badezimmer. Seine Arme und Beine schmerzten. Das Atmen fiel ihm schwer.
    Dann erinnerte er sich, was geschehen war. Er war an die Tür gelaufen. »Oh, das ist in Ordnung«, hatte er gesagt und geöffnet. Warum hatte er das gesagt?
    Er erinnerte sich.
    Er fühlte, wie sich der Stein in seiner Brust lockerte. Er spürte Sharons Atem auf seinem Gesicht. Aus weiter Ferne hörte er einen Zug.
    Das Geräusch von einem Zug.
    Mami. Er war die Treppe hinuntergelaufen. Der Mann ließ Mami fallen und sah ihn an.
    Dann beugte sich der Mann über Mami und sah völlig verschwitzt und ängstlich aus.
    Nein.
    Der Mann, der gestern abend die Tür aufstieß, der sich vor ihn hinstellte und auf ihn hinabsah - er hatte das schon einmal getan. Er war auf ihn zugekommen. Er hatte Mami fallen lassen und war auf ihn zugegangen. Er streckte seine Hände aus und schaute direkt auf ihn herunter.
    Und dann geschah etwas.
    Es läutete. Es läutete an der Haustür.
    Der Mann lief weg. Neil hatte ihn weglaufen sehen. Er träumte immer wieder von diesem Tag, weil er einen Teil davon vergessen hatte - jenen entsetzlichen Augenblick, als der Mann auf ihn zukam und seine Hände nach ihm ausstreckte…
    Der Mann…
    Der Mann, der mit Mr. Luft gesprochen hatte…, der gestern abend ins Haus eindrang und vor ihm stand… »Sharon.« Neils Stimme klang dumpf und heiser, als er sich bemühte, trotz seiner Atemnot zu sprechen.
    »Ja, Neil. Ich bin hier.«
    »Sharon, dieser Mann, der Verbrecher, der uns gefesselt hat…«

    »Ja, Liebling, hab’ keine Angst, ich passe auf dich auf.« »Sharon, er ist der Mann, der meine Mami getötet hat.«
25
    Das Zimmer. Lally wollte unbedingt ihr Zimmer aufsuchen, egal wie kalt es war. Wenn sie Zeitungen zwischen ihre beiden Decken legte, würde sie bestimmt nicht frieren. Das Zimmer fehlte ihr unsagbar. Die Absteige in der Tenth Avenue, in der sie und Rosie und einige der anderen fast den ganzen Winter über genächtigt hatten, war stets überfüllt. Sie brauchte das Alleinsein, ihren Platz zum Träumen.
    Vor Jahren, als Lally noch jung war, las

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