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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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fort und paßte auf, daß sie nicht schnorrten oder etwas herumliegen ließen.
    Ein wenig nervös bezogen sie in der Nähe des Schaufensters von Open Book ihren Posten.
    Die Zeit verging. Geduldig und fast reglos standen sie da und warteten. Lally hatte sich eine Geschichte für Olendorf zurechtgelegt. Sie würde ihm sagen, eine Freundin von ihr käme nach New York, und sie hätte versprochen, hier auf sie zu warten.
    Aber der Aufseher kümmerte sich nicht um sie. Allmählich schwollen Lallys Beine an. Sie war kurz davor, Rosie vorzuschlagen, die Wache abzublasen, als vom Mount-VernonBahnsteig ein Strom von Menschen heraufkam. Einer der Passanten hatte dunkles Haar und einen merkwürdig steifen Gang.
    Sie packte Rosie am Arm. »Das ist er!« rief sie. »Siehst du, er geht zur Treppe, brauner Mantel, grüne Hose.« Rosies Augen verengten sich. »O ja, ich sehe ihn.« »Jetzt kann ich hinuntergehen«, frohlockte Lally. »Warte lieber, bis Olendorf weg ist«, riet Rosie. »Er hat eben zu uns hergeschaut.«
    Aber Lally ließ sich nicht zurückhalten. Sie wartete noch, bis Olendorf zur Mittagspause abzog, dann ging sie auf den Bahnsteig hinunter. Der Zwölfuhrzehn-Zug füllte sich bereits.
    Sie würde nicht auffallen. Sie huschte auf die andere Seite des Bahnsteigs und eilte, so schnell es ihre arthritischen Kniegelenke zuließen, die Rampe hinab. Es ging ihr wirklich nicht gut.
    Dieser Winter war der härteste, den sie je erlebt hatte. Die Arthritis plagte sie nun auch im Rücken und in den Fußsohlen. Der ganze Körper tat ihr weg. Sie konnte es kaum erwarten, auf ihrem Bett zu liegen und auszuruhen. In zwei Minuten mußte das Mädchen draußen sein.
    »Missy«, würde sie sagen, »die Polypen wissen Bescheid. Sie sind schon unterwegs, um euch zu verhaften. Verschwinde bloß und warne deinen Freund.«
    Das müßte reichen.

    Sie schlurfte am Generator vorbei und um die Abwasserrohre herum. Am gegen
    überliegenden Ende des unterirdischen Areals gähnte die schwarze Öffnung des Tunnels.
    Sie blickte zur Tür ihres Zimmers empor und lächelte glücklich. Acht weitere Schlurfschritte, und sie befand sich am Fuß der Treppe, die zu ihm hinaufführte. Sie schob sich die Schlaufen der Einkaufstüte über den einen Arm und fischte den Schlüssel aus ihrer Jackentache. Mit ihrer freien Hand ergriff sie das Geländer und schickte sich an, die steile Treppe zu erklimmen.
    »Wo willst du denn hin, Lally?« fragte eine scharfe Stimme. Lally schrie erschrocken auf und verlor fast das Gleichgewicht. Sie fing sich wieder, und sich langsam umdrehend, um Zeit zu gewinnen, blickte sie schließlich der drohenden Gestalt des Wachtmeisters Olendorf ins Auge. Also hatte er sie doch beobachtet, wie Rosie befürchtet hatte. Er wollte sie hereinlegen, als er so tat, als ginge er zum Mittagessen. Sie ließ den Schlüssel in die Tüte gleiten. Ob er ihn gesehen hatte?
    »Ich habe dich gefragt, wo du hin willst, Lally.« Neben ihr rumpelte der Generator.
    Dröhnend und kreischend fuhr oben ein Zug ein. Ihre Hilflosigkeit machte sie sprachlos.
    Plötzlich drang aus einer dunklen Ecke wütendes Fauchen und Jaulen. Lallys Lebensgeister wurden wieder wach. »Die Katzen!« Mit zitternder Hand deutete sie auf die umherhuschenden Skelette. »Sie verhungern! Ich wollte ihnen etwas zu fressen bringen. Ich wollte es eben auspacken.« Eilfertig zog sie die zerknautschte Serviette mit den Krapfenresten aus ihrer Plastiktüte.
    Der Wachtmeister untersuchte angewidert die fettige Serviette; doch als er wieder sprach, klang seine Stimme weniger feindselig. »Sie tun mir ja auch leid, aber du hast hier nichts zu suchen, Lally. Wirf ihnen das Zeug hin und verschwinde.« Sein Blick glitt an ihr vorbei zur Treppe, wanderte zur Tür ihres Zimmers hinauf und verweilte dort nachdenklich. Lallys Herz trommelte wie verrückt. Sie nahm ihre Tüte auf, humpelte zu den Katzen und warf ihnen die armseligen Brocken hin. Dann schaute sie zu, wie sie sich darum stritten.
    »Sehen Sie nur, wie hungrig sie sind«, sagte sie in einlenkendem Ton. »Haben Sie auch Katzen daheim?« Sie bewegte sich auf die Rampe zu, in der Hoffnung, er käme mit ihr.
    Angenommen, er benutzte seinen Schlüssel und inspizierte das Zimmer? Wenn er das Mädchen dort fand, würde er bestimmt das Schloß ändern, es vielleicht sogar versiegeln lassen.
    Er zögerte, zuckte die Achseln und beschloß, ihr zu folgen.
    »Früher ja, aber seit unsere Lieblingskatze einging, will meine Frau nichts mehr von

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