Gnadenfrist
dachte er an jenen Tag, als es bei ihr zu der Koronarthrombose gekommen war… Wir tun, was wir können, Mr. Perry… Es steht auf des Messers Schneide… Vielleicht sollten Sie nach Ihren Söhnen schicken…
Aber sie hatte sich wieder erholt. O Gott, wenn sie etwas weiß, hilf ihr, sich zu erinnern, betete Roger. Laß mich ihr eine Hilfe sein. Wenn Neil und Sharon starben und Glenda hinterher glaubte, sie hätte sie retten können, war das auch ihr Tod.
Wie mochte es Steve in diesem Augenblick gehen? Bald war es Zeit für ihn, mit dem Lösegeld nach New York aufzubrechen.
Wo war Ronald Thompsons Mutter jetzt? Was mochte sie empfinden? Kannte auch sie diese sinnlose Qual? Doch wie sollte es anders sein.
Was war mit Sharon und Neil? Hielt man sie in Angst und Schrecken? Hatte man sie mißhandelt? Lebten sie noch, oder war es bereits zu spät?
Und Ronald Thompson. Bei der Verhandlung hatte Roger nur daran denken können, wie sehr er Chip und Doug ähnelte, als sie im gleichen Alter waren. Mit neunzehn studierten seine Söhne im zweiten Jahr, Chip in Harvard, Doug an der Universität von Michigan. Da gehörten Neunzehnjährige hin - nicht in die Todeszelle eines Gefängnisses.
»Roger-« Glendas Stimme klang bemerkenswert ruhig. »Vielleicht legst du eine Zeittafel von jedem Tag an: neun Uhr, zehn Uhr… so in der Art. Dann sehen wir eher, wo etwas fehlt.
Dort auf meinem Schreibtisch ist ein Block.«
Er stand auf und holte ihn. »Also gut«, sagte er. »Über gestern und Sonntag wissen wir Bescheid. Darüber brauchen wir keine Zeit zu verlieren. Laß uns mit letztem Samstag beginnen…«
34
»Noch Fragen, Mr. Peterson? Sind Sie sicher, daß Sie alles verstanden haben?« Hugh und Steve standen in der Halle. Steve hielt einen schweren Koffer mit dem Lösegeld in der Hand.
»Ich glaube schon.« Steves Stimme klang gelassen, beinahe monoton. Irgendwann in den vergangenen Stunden war seine Müdigkeit einer Art Betäubung gewichen, die ihn gegen Schmerz und Kummer unempfindlich machte. Er konnte klar und fast abstrakt denken. Es war, als stünde er auf einem hohen Berg und beobachtete den Ablauf eines Dramas. Er war Zuschauer und Akteur zugleich.
»Gut. Wiederholen Sie alles noch einmal.« Hugh erkannte, in welcher Verfassung sich Steve befand. Peterson näherte sich dem Ende seiner emotionalen Belastbarkeit. Dabei stand er bereits unter einer Art Schock.
Die Sache mit der imitierten Stimme seiner Frau hatte allem die Krone aufgesetzt. Und der arme Mensch bestand darauf, daß es tatsächlich die Stimme seiner Frau gewesen sei. Was für ein billiger, plumper Trick, die Entführung mit dem Tod von Nina Peterson in Verbindung zu bringen! Es gab noch eine Reihe anderer Dinge, die Hugh bemerkt hatte: Sharons Bitte an Steve, ihr zu vergeben… Neils »Sharon sorgt für mich«. War das nicht bereits ein Fingerzeig, daß es sich hier um einen Schwindel handelte? Oder war es doch keiner?
Vielleicht konnte ihm John Owens helfen. Sie hatten ihn ausfindig gemacht, und Hugh wollte sich mit ihm im New Yorker Hauptquartier treffen.
Steve sagte: »Ich fahre direkt zur Telefonzelle in der 59. Straße. Sollte ich zu früh kommen, bleibe ich im Wagen sitzen und warte bis kurz vor zwei Uhr. Dann steige ich aus und stelle mich neben das Telefon. Wahrscheinlich werde ich zu einem anderen Telefon umgeleitet. Ich folge den Anweisungen. Dann hoffe ich, direkten Kontakt zu bekommen und übergebe den Koffer an den Entführer. Anschließend fahre ich ins FBI-Hauptquartier in der 69. Straße, Ecke Third Avenue. Sie erwarten mich, um die Kameras auszubauen und den Film zu entwickeln.«
»Das wäre zunächst alles. Wir werden Ihnen in einiger Entfernung folgen. Der Signalgeber in Ihrem Wagen wird uns über Ihre Bewegungen informieren. Einer unserer Leute folgt Ihnen auf der Autobahn, damit wir sichergehen, daß Sie nicht steckenbleiben oder sich verspäten.
Mr. Peterson…« Hugh streckte die Hand aus. »Viel Glück.«
»Glück?« sagte Steve verwundert, als hörte er dieses Wort zum ersten Mal. »Ich habe gerade weniger an Glück gedacht als an einen alten Wexfordfluch. Kennen Sie ihn zufällig?«
»Ich glaube nicht.«
»Ich kann mich nicht mehr an jede Zeile erinnern, aber er lautet ungefähr so: >Der Fuchs soll sich in deinem Haus einnisten. Das Augenlicht soll dir verkümmern, damit du, was du liebst, nie wieder siehst. Süßester Trank sei dir der bittre Kelch des Leidens… < Es geht noch weiter, aber das allein sagt schon
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