Gnadenfrist
Ungewöhnliches ist geschehen.«
Steve spürte, wie sich seine Halsmuskeln verengten. Nur mit Mühe gelang es ihm zu sprechen. »Was gibt es, Pater?«
»Vor zwanzig Minuten, als ich an den Altar trat, um die Abendmesse zu lesen, fand ich vor dem Tabernakel ein Päckchen. Ich lese Ihnen vor, was darauf geschrieben ist: >Sofort abzuliefern bei Steve Peterson. Es geht um Leben oder Tod.< Darunter steht Ihre Telefonnummer. Könnte es sich vielleicht um einen Scherz handeln?«
Steve hörte die Heiserkeit in seiner Stimme. Mit schweißnassen Händen umklammerte er den Hörer. »Nein, es ist kein Scherz. Es könnte wichtig sein. Ich bin sofort bei Ihnen, Pater.
Und bitte, sprechen Sie mit niemandem darüber.«
»Selbstverständlich, Mr. Peterson. Ich werde im Pfarrhaus auf Sie warten.«
Als Steve eine halbe Stunde später wieder nach Hause zurückkam, erwartete ihn Hugh mit dem Recorder. Finster beugten sie sich über den Apparat, als sich die Spule zu drehen begann.
Einen Augenblick lang hörten sie nur leises Kratzen, dann folgte Sharons Stimme. Steve erbleichte und ergriff Hughs Arm. Es war die Anweisung. Sie wiederholte die Anweisung, die der Entführer ihm gegeben hatte. Warum sagte sie, sie hätte sich geirrt? Was sollte er ihr verzeihen? Sie brach so unvermittelt ab, als hätte man ihr das Wort abgeschnitten. Neil… Von ihm kam das kratzende Geräusch. Neil erstickte fast an seinem Asthma. Steve lauschte der stockenden Stimme seines Sohnes. Sharon kümmerte sich um ihn. Warum erwähnte er seine Mutter? Warum ausgerechnet jetzt?
Er preßte die Fäuste zusammen, bis die Knöchel weiß hervortraten, und hielt sie sich vor den Mund, um das Schluchzen zurückzudrängen, das seine Brust erschütterte.
»Das war’s«, sagte Hugh. »Wir lassen das noch einmal laufen.« Er streckte die Hand aus, doch bevor er die Stopptaste drücken konnte, begann eine warme lebhafte, melodische Stimme zu sprechen. »Wie nett von Ihnen«, sagte sie erfreut. »Bitte, kommen Sie herein.«
Mit einem Schrei des Entsetzens sprang Steve auf. »Was ist los?« rief Hugh. »Wer ist das?«
»O Gott… !« stöhnte Steve. »Das ist meine Frau… Das ist Nina!«
30
Hank Lamont parkte seinen Wagen vor der Alten Mühle in der Fairfield Avenue in Carley. Es hatte wieder heftig zu schneien begonnen, und ein böiger Wind peitschte den Schnee gegen die Windschutzscheibe. Seine großen unschuldig wirkenden blauen Augen verengten sich, als er das schummerig beleuchtete Innere der Kneipe musterte. Sie schien ziemlich leer.
Wahrscheinlich waren die Leute wegen des schlechten Wetters zu Hause geblieben; aber das kam ihm ebenso gelegen. Auf diese Weise konnte er sich leichter mit dem Barmann unterhalten. Hoffentlich gehörte er zu der redseligen Sorte.
Er stieg aus dem Wagen. Was für eine Kälte! Was für eine abscheuliche Nacht! Sie würden sich schwer tun, wenn sie später Petersons Wagen zu verfolgen hatten. Wahrscheinlich waren dann so wenige Autos unterwegs, daß die, die sich trotzdem hinauswagten, auffallen würden wie ein Blitzer in der Wallstreet.
Er stieß die Tür der Schenke auf und trat ein. Warme Luft strömte ihm entgegen, und ein nicht unangenehmer Bier- und Essensgeruch stieg ihm in die Nase. Er zwinkerte, um die Wimpern von den Schneeflocken zu befreien, und warf einen Blick zur Bar. Nur vier Männer standen daran. Er schlenderte hinüber, schob sich auf einen Hocker und bestellte ein Michelob.
Während er trank, wanderten seine Augen von einer Seite zur anderen. Zwei der Gäste sahen sich ein Hockeyspiel im Fernsehen an. An der anderen Barhälfte nippte ein gutangezogener Angestelltentyp mit glasigen Augen und weißem Haarkranz an einem Martini. Er fing Hanks Blick auf. »Stimmen Sie mir zu, Sir, daß ein vernünftiger Mensch unter diesen widrigen Umständen mit seinem eigenen Auto keine zehn Meilen fährt, sondern sich tunlichst ein Taxi rufen sollte?« Und seinen eigenen Zustand erwägend fügte er überflüssigerweise hinzu: »Besonders, wenn er einen sitzen hat.«
»Ganz Ihrer Meinung, Mister«, antwortete Hank herzlich. »Ich komme eben von Peterboro, und ich kann Ihnen sagen, die Straßen sind wirklich schlecht.« Er nahm einen großen Schluck von seinem Bier.
Der Barmann trocknete die Gläser ab. »Sie sind aus Peterboro? Hab’ Sie hier noch nie gesehen, oder?«
»Nein. Ich bin nur auf der Durchreise. Wollte mal ‘ne kleine Pause einlegen, und da fiel mir ein, daß mein alter Kumpel, Bill Luft, sagte, er sei um die
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