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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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in Ordnung zu bringen, hätte das bedeutet, daß sie seine Verärgerung nicht allzu ernst genommen hatte.
    Nina. Nina, es tut mir leid. Sharon. Sie hatte ihn wieder ins Leben zurückgeholt. Ihretwegen waren Betäubung und Schmerz dahingeschmolzen wie Eis im Tauwetter des Frühlings. Die letzten sechs Monate waren sehr schön gewesen. Er hatte allmählich geglaubt, daß ihm eine zweite Chance zum Glück gegeben werde.
    In seinem Alter verliebte man sich nicht mehr auf den ersten Blick. Er war jetzt vierunddreißig Jahre alt und nicht mehr zweiundzwanzig.
    Oder doch?
    Nach jener ersten Begegnung in der Today Show gingen sie zusammen aus dem Studio und unterhielten sich noch eine Weile vor dem Gebäude. Seit Ninas Tod hatte er nicht das geringste Interesse an Frauen empfunden; aber an jenem Morgen spürte er, daß er Sharon nur ungern gehen ließ. Er hatte am frühen Vormittag eine Besprechung, konnte also kein gemeinsames Frühstück vorschlagen. Schließlich platzte er einfach heraus: »Hören Sie, ich habe jetzt nicht viel Zeit, aber wie wär’s, wenn Sie heute abend mit mir essen würden?«
    Sharon sagte sofort zu, fast als hätte sie auf seine Einladung gehofft. Der Tag erschien ihm endlos lang, bis er endlich an ihrer Wohnungstür stand und läutete. Ihre Diskussion über die Todesstrafe war zum damaligen Zeitpunkt mehr ideologisch als persönlich. Erst als Sharon merkte, daß sie Ronald Thompson nicht retten konnte, begann sie sich gegen ihn zu wenden.
    Inzwischen hatte er die Überlandstraße erreicht. Seine Hände lenkten den Wagen wie von selbst und wählten die richtigen Abzweigungen, ohne daß er sich dessen bewußt wurde.
    Sharon. Es tat so gut, wieder mit jemand zu sprechen - beim Abendessen oder bei einem Gutenachtschluck in ihrer Wohnung. Sie verstand die Schwierigkeiten, die sich für eine neue Zeitschrift ergaben, den Kampf um Anzeigen und Leser. Das nächstliegende Bettgeflüster, hatte er gescherzt.
    Wenige Wochen vor Ninas Tod hatte er seine Stellung bei Time aufgegeben, um bei Events einzusteigen. Er war ein echtes Risiko eingegangen, denn bei Time hatte er gut verdient. Zum Teil steckte verletzter Stolz dahinter; er wollte dabeisein, wenn die beste Illustrierte im ganzen Land geboren wurde. Er wollte ein steinreiches Zeitungsas werden, und er wollte es Ninas Vater zeigen. Er würde seine Worte zurücknehmen müssen.
    Ninas Eltern machten ihn für den Tod ihrer Tochter verantwortlich. »Hätten sie in einem Haus mit entsprechendem Personal und ordentlichen Sicherheitsvorkehrungen gewohnt, wäre das nicht geschehen«, sagten sie. Und dann wollten sie Neil nach Europa mitnehmen. Neil und diese beiden!
    Der arme Junge. Wie der Vater, so der Sohn. Steves Mutter war gestorben, als er drei Jahre alt war. Er konnte sich nicht mehr an sie erinnern. Sein Vater war Witwer geblieben. Leider.
    Denn Steve war mit dem Wunsch aufgewachsen, eine Mutter zu haben. Als er sieben Jahre alt war, hatten sie einmal eine Lehrervertretung in seiner Klasse; sie mußten bei ihr Karten zum Muttertag malen.
    Als die Stunde zu Ende war, hatte die Lehrerin bemerkt, daß er seine Karte nicht eingepackt hatte. »Du willst sie doch nicht hierlassen, oder?« hatte sie gefragt. »Deine Mutter wird sich sehr freuen, wenn du sie ihr am Sonntag gibst.«
    Er hatte die Karte zerrissen und war aus dem Klassenzimmer gerannt.
    Er wollte nicht, daß es Neil genauso ging. Neil sollte in einem glücklichen Zuhause aufwachsen - zusammen mit Geschwistern. Steve wollte nicht so leben wie sein Vater, der allein in seiner Wohnung gehaust und Steve zu seinem einzigen Lebensinhalt gemacht hatte.
    Jedesmal, wenn er zur Post gegangen war, hatte er mit seinem Sohn in Princeton geprahlt.
    Eines Morgens war er nicht mehr aufgewacht. Als er nicht an seinem Arbeitsplatz erschien, stellte man Nachforschungen an, und Steve wurde aus dem Unterricht geholt.
    Vielleicht war er deshalb im Laufe der Jahre zu seiner Ansicht über die Todesstrafe gekommen - weil er wußte, wie alte und arme Leute lebten, wie wenig ihnen blieb, und weil ihn der Gedanke krank machte, daß solche Menschen von Verbrechern brutal ermordet wurden.
    Der Koffer lag auf dem Beifahrersitz. Hugh hatte ihm versichert, daß das elektronische Gerät nicht zu entdecken sei. Er war jetzt froh, daß man es eingebaut hatte.
    Um ein Uhr dreißig verließ Steve den West Side Highway an der Ausfahrt zur 57. Straße.
    Um zwanzig vor zwei parkte er vor der Telefonzelle vor Bloomingdale’s. Um zehn vor

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