Gnadenfrist
zu finden. Sie machte sich daran, alle Familien auf dem Aventin zu befragen, die Kinder als vermißt gemeldet hatten. Gaius Baebius war aufgetaucht, als ich gerade das Haus verlassen wollte, also holte ich rasch einen kräftigen Strick vom Müllkarren, band Ajax an eine Säule im Portikus der Wäscherei und bat Gaius, Helena zu begleiten. Das würde ihr den nötigen Schutz geben, zu dem ich aus Zeitgründen nicht in der Lage war, und ihn aus Schwierigkeiten raushalten.
Lenia keifte irgendwas Wütendes über den Hund.
»Hör auf, Lenia. Wenn ich dir den Wahrsager machen soll, bist du mir den einen oder anderen Gefallen schuldig.«
»Treib’s nicht zu weit, Falco! Du scheinst das als Vorwand zu nehmen, um dich wie ein totaler Tyrann aufzuführen.«
»Unterschätz die Lügen nicht, die ich mir einfallen lassen muß.«
»Wenn du das so empfindest, such ich mir jemand anderen.«
»Nichts dagegen.«
Sie würde keinen anderen finden, das wußten wir beide. Jeder Ladenbesitzer an der Brunnenpromenade hatte sich schon schlappgelacht bei dem Gedanken, mich unter dem Opferschleier leiden zu sehen.
Gute Götter. Daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht: Ich mußte mir für den Hochzeitstag noch einen passenden Kopfschmuck besorgen.
»Gaius Baebius, du siehst aus wie ein pflichtbewußter Mann. Besitzt du einen Priesterschleier?«
»Selbstverständlich«, meinte mein Schwager hochmütig. Das hätte ich mir denken können. Der alte Frömmler. Wieso hatte Junia ihn nur geheiratet? (Antwort: Wegen seines Zöllnergehalts. Fragen Sie mich aber nicht, wieso ein friedfertiger Klotz wie Gaius je eine so boshafte Bohnenstange wie sie hatte heiraten können.) »Ich hoffe, demnächst in das Augurenkollegium aufgenommen zu werden, Marcus Didius.«
Auch noch die Staatsreligion. Verschon mich, Gaius! »Hervorragend! Und danke, daß du mir deinen Kopflappen leihst«, rief ich und verschwand so schnell wie möglich in die entgegengesetzte Richtung. Ich sah gerade noch seinen verwirrten Blick; Helena würde es ihm erklären. Wie ich Gaius Baebius kannte, würde ihn die Leihgabe seines Kopfschleiers zu der Annahme verleiten, er sei zu Lenias Hochzeit eingeladen. Um so besser. Junia und er würden garantiert den Hund mitbringen; Ajax war ihr Kindersatz und wurde wie ein Familienmitglied behandelt. Vielleicht konnte man Ajax darauf trainieren, den Bräutigam zu beißen. Vielleicht würden die Götter, wenn sie mir sehr wohlgesonnen waren, mir die Zeit geben, Ajax selbst zu trainieren.
Auf dem Weg zum Wachlokal malte ich mir in leuchtenden Farben aus, wie sich am Hochzeitstag kräftige Hundezähne in das heiligste Gut meines Vermieters verbissen.
Ich wußte schon, wie sich mein Tag gestalten würde. Fusculus war am frühen Morgen zu mir gekommen und hatte von dem Mord an dem Arzt berichtet. Er sagte, Petro sei die halbe Nacht aufgeblieben, um den Diebstählen in der Saepta nachzugehen. Als er von Alexanders Ermordung erfuhr, hatte er aufgegeben und war nach Hause gegangen, um wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen. Geplant war, daß wir uns alle am späten Vormittag trafen und mit einer ausgeruhten, frischen Mannschaft dieses neue Desaster in Angriff nahmen.
Dadurch hatte ich ein paar Stunden für mich. Zeit für ernsthafte Vorbereitungen. Ich ging ins Gymnasium und wollte mich durch ein wenig Ringen und Fechten fit machen. Bei all dem, was sich momentan in Rom abspielte, schien mir das eine gute Idee.
Ich hatte meine Schulter vergessen. Was mich prompt dazu brachte, das Gymnasium zu verlassen und in den Massageraum zu gehen.
»Du bist total schlaff«, nörgelte Glaucus, der Besitzer, der als mein persönlicher Trainer fungierte, wenn ich ihn an mich ranließ.
»Dann bring mich in Form.«
»In einer halben Stunde , Falco?«
»Mehr Zeit hab ich nicht.«
»Du bist langsam, du bist schwach und völlig benebelt. Es wird Monate dauern, dich wieder aufzubauen. Ich hoffe, du hast in nächster Zeit nichts Gefährliches vor.«
»Nur eine Bande bösartiger Mörder zu stellen. Und paß auf, Mann! Ich hab mir gestern die Schulter ausgerenkt.«
»Jupiter, Juno und Minerva! Ich nehme an«, stöhnte Glaucus sarkastisch, »daß man dir auch ein paar kräftige Schläge auf den Schädel versetzt hat, was?«
Ich liebe es, mich bedrohlichen Situationen mit derart freundlichen Ermutigungen zu nähern.
Petronius Longus war schlechter Laune. »Was zum Hades ist mit diesen Dreckskerlen los? Können sie uns nicht Zeit lassen, uns erst
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