Gnadenfrist
kurz nachdem Marius sie Verlassen hatte, nur zwei Straßen von der Brunnenpromenade entfernt. Gaius Baebius hatte angeboten, morgen weiterzusuchen. Er und Junia hatten keine Kinder, aber er besaß ein gutes Herz. Das machte ihn allerdings auch nicht liebenswerter.
Ich seufzte. Während ich überlegte, was ich tun konnte, streckte ich mich neben Helena auf der Bettdecke aus. Ich hielt immer noch das Baby im Arm. Und prompt kam auch der verdammte Hund Pfote für Pfote vorsichtig auf das Bett gekrochen. Es war kaum Platz genug für uns alle. Wenn das so weiterging, brauchten wir bald ein größeres Bett.
Die Sache mit Tertulla würde wohl warten müssen. Sie war am frühen Vormittag verschwunden, und inzwischen war es bereits Nacht. Ich wußte, was das bedeutete. Die Gefahr, in der sie sich befinden mochte, war mir durchaus bewußt. Bestimmt fürchtete sie sich, war womöglich sogar verletzt. Oder tot. Aber ohne einen Anhaltspunkt konnte ich kaum etwas unternehmen.
Ich war ihr Onkel. Ja, sogar der nominelle Haushaltungsvorstand der Familie meiner Schwester, da Papa uns ja schon vor Jahren hatte sitzenlassen und der Vater des Kindes ein absoluter Nichtsnutz war, den selbst Galla so oft wie möglich rauswarf. Es war meine Aufgabe, das Kind zu finden. Oh, ihr Götter, wie ich diese Art von Verantwortung haßte.
»Laß es mich versuchen«, drängte Helena und kuschelte sich an mich. »Ich rede mit den Eltern der anderen angeblich vermißten Kinder. Marcus, du kannst nicht alles machen.«
Ich wandte den Kopf und sah sie traurig an. »Du bist wunderschön!«
»Wieso sagst du das jetzt?« Sofort war sie mißtrauisch. »Was ist passiert?«
Müde schloß ich die Augen. Am besten, ich gestand es ihr. »Nichts kann ich richtig machen. Da kaufe ich dir einmal ein ganz tolles Geschenk – und dann wird es mir geklaut.«
»Oh nein! Ach, mein Liebster.«
»Es war wunderschön. Wahrscheinlich finde ich nie was Besseres.« Ich war richtig deprimiert. »Ich hab versucht, es zu ersetzen, aber ich kann nichts finden, was mir so gut gefällt.«
»Ach, Marcus … Das spielt keine Rolle. Komm unter die Decke.«
»Ich wollte dir das nicht erzählen müssen.«
»Du kannst doch nichts dafür.«
»Meine Aufgabe ist es, die Mistkerle zu fangen. Ich dachte, ich würde das Geschenk zurückbekommen.«
»Das wirst du auch«, sagte sie. Ihr Vertrauen in mich war rührend, aber auch beängstigend. Helena legte die Arme um mich. Sofort wurde ich schläfrig. Das war nicht gut. Mir gingen zu viele Sorgen durch den Kopf. Wenn ich eindöste, würde ich Alpträume haben. Genauso gut konnte ich wach bleiben und mir damit jede Chance nehmen, irgendwas rauszukriegen, weil ich morgen vollkommen erschöpft sein würde.
Und morgen stand mir ein schwieriger Tag bevor. »Was sollen wir deiner Mutter sagen, Helena Justina, wenn sie fragt, was du von mir zum Geburtstag bekommen hast?«
»Ich werde einfach mysteriös lächeln und sagen, es sei ein Geheimnis.«
Helenas Mutter würde das als obszönen Hinweis auf das Kind auffassen, das wir erwarteten. Sobald sie davon erfuhr. »Und was, wenn ich das fragen darf, werden wir deiner Mutter über den Familienzuwachs erzählen?«
»Mach dir keine Sorgen.«
»Ich mache mir aber Sorgen. Ich hab schon zuviel in den Sand gesetzt. Wenigstens diese Sache möchte ich mit Anstand und Takt über die Bühne bringen.«
»Ich werde ihr sagen, das sei mein Geburtstagsgeschenk.« Genau wie ich befürchtet hatte: »Er hat mich geschwängert. Was willst du mehr?«
Was für eine wunderbare Familie. Ein hoffnungsloser Ermittler, ein Mädchen, mit dem er nicht zusammenleben sollte, ein Findelkind und ein Hund, den ich nicht haben wollte. Und wir vier versuchten irgendwie, die Hälfte aller Verschwörungen in Rom aufzudecken.
Am nächsten Morgen war ein weiteres Verbrechen geschehen. Während der Nacht war Alexander, der Arzt, der Nonnius erzählt hatte, er würde sterben, in seiner Praxis von der Wache tot aufgefunden worden. Alles war kurz und klein geschlagen worden, und er lag inmitten verstreuter Instrumente und verschütteter Arzneien. Man hatte ihm die Kehle mit einem seiner eigenen Skalpelle durchgeschnitten. Zuvor waren jedoch diverse abscheuliche Experimente mit ihm durchgeführt worden. Sein Bruder Scythax, der Arzt der Vierten Kohorte, war zufällig mit der Nachtpatrouille unterwegs, die die Leiche fand.
XLII
Helenas Geburtstag. Mein armes tapferes Mädchen verbrachte ihn damit, meine verschwundene Nichte
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