Gnadenfrist
verwettet hätte. Und niemand schien bemerkt zu haben, daß hier letztlich mein Geld zum Fenster rausgeworfen wurde, weil ich meine Mutter finanziell unterstützte.
»Oh, bitte nicht, Onkel Marcus!«
»Von wegen. Klar sag ich’s ihr.«
Meine gute Laune war verflogen. Seit Tertulla meinen Vater erwähnt hatte, ahnte ich, daß mein heutiger Tag nicht wie geplant ablaufen würde. Die Thermen und das Protzen auf dem Forum konnte ich mir wohl abschminken …
»Großvater hat Probleme. Dein Freund Petronius hat ihm gesagt, er soll nach dir schicken«, rief meine Nichte. Wenn es um das Überbringen schlechter Nachrichten ging, lag Beharrlichkeit in der Familie.
Petro wußte, was ich für meinen Vater empfand. Wenn Petro meinte, Papa säße so dick in der Tinte, daß selbst ich ihm helfen würde, dann mußten die Schwierigkeiten schon wirklich ernsthaft sein.
IX
Das Emporium ist ein langgestrecktes, abgesichertes Gebäude am Ufer des Tiber. Die Barken, die von Ostia den Fluß hinaufkriechen, erreichen die Stadt mit den Gärten Cäsars zu ihrer Linken und einem Teil des aventinischen Bezirks, unterhalb des Hügels, zu ihrer Rechten. Wenn sie die Stadtgrenze erreichen, sehen sie die Transtiberina und flußaufwärts den Pons Probus, und zur Rechten finden sie das Emporium, einen riesigen überdachten Markt, der den alten Portikus Aemilia mit einschließt. Man kann ihn vom Wasser aus riechen. Selbst ein Blinder würde merken, daß er angekommen ist.
Hier wird alles, was die Provinzen des Imperiums an Trag-, Eß- und Trinkbarem herstellen, an den überfüllten Kais ausgeladen. Die geschickten Schauerleute, für ihre Übellaunigkeit und geschmacklose Freizeitkluft bekannt, knallen die Waren auf Handkarren, werfen sie in Körbe oder schlurfen mit großen Säcken auf den Schultern in die größte Markthalle der Welt. Zynische Verkäufe werden abgeschlossen, und bevor der Importeur überhaupt merkt, daß ihn die ausgefuchstesten Mittelsmänner Europas übers Ohr gehauen haben, wird alles wieder hinausgerollt und zu den Werkstätten, Lagerhäusern, Landgütern oder Privatwohnungen verfrachtet. Die Geldwechsler zeigen den ganzen Tag über ein glückliches Lächeln.
Außer ein paar Gütern wie Korn, Papier und Gewürze, die so kostbar sind oder in solchen Mengen verkauft werden, daß sie eigene Märkte brauchen, kann man im Emporium alles kaufen. Durch seinen Beruf war mein Vater hier wohlbekannt. Er gab sich nicht mehr mit den üblichen Geschäften ab, da sein Interesse jetzt hauptsächlich dem Kunsthandel galt, der in ruhigerer, geschmackvollerer Umgebung stattfindet, wo der Käufer in aller Ruhe übers Ohr gehauen wird und dann dem Auktionator eine um so gigantischere Summe zahlt.
Papa war eine auffallende Figur. Normalerweise hätte ich nur jemanden nach Geminus fragen müssen, und man hätte mir sehr bald gesagt, an welchem der Weinstände er sich gerade herumtrieb. Ich hätte ihn also problemlos finden können – wenn die gestrengen Wachleute der Vierten Kohorte der Vigiles jemanden hineingelassen hätten.
Das Durcheinander war unbeschreiblich. So etwas hatte es noch nie gegeben. Das Emporium lag auf einem Gelände, das Augustus mit einbezogen hatte, als er wegen der wachsenden Bevölkerung die Grenzen Roms ausdehnte. Ich hatte den Fehler gemacht, vom alten Teil aus durch die Porta Lavernalis zu kommen. Hier ging es zwar immer sehr geschäftig zu, heute aber war fast kein Durchkommen. Im Schatten des Aventin hatte ich nahe des Tiber nur Chaos vorgefunden. Ich hatte eine Stunde gebraucht, um mich durch das Gewühl zu zwängen, das die Via Ostia verstopfte. Als ich endlich die Kais erreichte, war mir klar, daß etwas äußerst Merkwürdiges passiert sein mußte. So war ich zwar auf einiges vorbereitet – aber nicht darauf, daß mein vernünftiger Freund Petronius offenbar das Ganze verursacht hatte.
Es war später Vormittag. Die Tore des Emporiums, die bei Nacht aus Sicherheitsgründen verschlossen waren, aber beim ersten Tageslicht weit geöffnet wurden und bis spät am Abend offen blieben, waren jetzt versperrt. Rotgesichtige Mitglieder der Wachmannschaft standen davor Wache, mit dem Rücken zu den Toren. Sie waren in beträchtlicher Anzahl aufmarschiert; fünfhundert Mann bildeten die Halb-Kohorte, die auf der zum Fluß gelegenen Seite des Aventin patrouillierte. Ein Teil war zur Feuerwache abkommandiert und versah, wegen der besonderen Gefährdung in der Dunkelheit, überwiegend nachts seinen Dienst. Damit blieben
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