Gnadenlos (Sara Cooper)
erspähte sie zu allem Überfluss ein paar Reihen vor sich Kathleen Wealer aus ihrer Nachbarschaft, die ihr zunickte. Jane brachte ein knappes Lächeln zustande. Seufzend hoffte sie darauf, dass die Messe bald zu Ende wäre.
Jane verließ schließlich zusammen mit Kathleen die Kirche, ihr Mann stand etwas abseits und telefonierte immer noch. Ein lauer Wind kam auf und bewegte die Äste der Bäume. „Liebes, das ist ja alles so schrecklich“, sagte Kathleen, aber Jane hörte ihrer Nachbarin kaum zu. Vor der Kirche war ein Donut- und Kaffeestand aufgebaut. Kathleen holte sich einen Becher Kaffee und legte einen ordentlichen Betrag in die Spendenbox. „Ich habe mein Bargeld zuhause vergessen“, sagte Jane entschuldigend, den Blick weiter auf Rick gerichtet, der aufgeregt in sein Telefon sprach. Er wirkte zunehmend verzweifelt. Als er seine Frau und die anderen erblickte, verstummte er, steckte das Handy weg und eilte zu ihnen. Er war bleich und sah aus, als könnte er jede Sekunde zusammenbrechen. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Freundlich gab er Frau Wealer die Hand, „Guten Tag, Kathleen.“
Sie drückte seine kalte Hand immer wieder. „Ihre Tochter wird gefunden. Ganz sicher. Mit Gottes Hilfe wird sie gefunden“, entgegnete sie hoffnungsvoll.
Rick sah mit einem ermutigenden Lächeln auf, begegnete dem besorgten Blick der Frau und deutete Jane an, gehen zu wollen. „Vielen Dank, Kathleen. Wir wissen Ihre Anteilnahme wirklich zu schätzen“, sagte er und legte Jane den Arm um die Schulter. Mit dem Kinderwagen gingen sie Richtung Auto.
„Was hat Tom gesagt?“, wollte sie wissen.
Rick wirkte frustriert. „Er hat nichts Neues. Ich glaube, du hast Recht. Tom war ein Fehler, er bringt nichts zu Stande“, schimpfte er. So wütend kannte ihn Jane kaum.
Kapitel 21
La Jolla, San Diego
Lilly und Shawn brüteten den ganzen Tag über den Akten. Sie hatten jegliche Bankbewegungen, Emails und Freunde der Mädchen überprüft, aber nichts Auffälliges entdecken können. Der Vormittag war nur so verflogen. Lilly hatte sich durch die Befragung von Philip Reynolds noch kein gutes Bild von Claire machen können, daher entschlossen sie sich, gegen Nachmittag zu Lydia Reynolds, der Mutter des Mädchens, zu fahren. Auch Shawn kam die ganze Sache mittlerweile seltsam vor. Vieles passte einfach nicht zusammen. Lydia Reynolds lebte in La Jolla. Der Vorort war das absolute Kontrastprogramm zu La Mesa, wo ihr Sohn wohnte. Ihr Haus war das letzte in der Straße, es lag etwas abgelegen, dahinter war nur noch Wald. Der Garten war liebevoll gepflegt, der Rasen feinsäuberlich geschnitten. Die Gärtner der benachbarten Anwesen schienen hier eine Art Wettkampf auszuführen und Lilly hätte nicht sagen können, wer ihn für sich entschied. Die Fassade des Hauses war beige und eine Glyzinie, die über und über von Knospen bedeckt war, zog üppig wuchernd über die ganze Hauswand. Die riesigen Fenster funkelten, als wären sie vor kurzem erst geputzt worden. In den Blumenkästen blühten rosafarbene, weiße und rote Geranien. Lilly und Shawn schauten sich an, als sie den Kiesweg zur Tür entlanggingen – auch hier lag kein Steinchen neben dem Weg. In der Auffahrt parkte im Carport ein schwarzer Lamborghini. „Hier geht es aber jemandem sehr gut“, stellte Shawn nüchtern fest. Lilly betätigte den schweren Messingtürknopf und wartete einen Augenblick. Es tat sich etwas im Haus, soviel war sicher. Sie klopfte noch einmal, dieses Mal lauter. „Sekunde“, ertönte es von drinnen. Das musste Lydia Reynolds sein. Die Tür wurde langsam aufgemacht und eine Dame schaute die beiden Polizisten durch eine modische Brille an. Sie wirkte vital und hatte sich zweifelsfrei gut gehalten, nur ihr Hals verriet, dass sie auf die 50 zuging. Ihre dunkelbraunen Haare waren durcheinander geraten und sie hatte sich in einen viel zu großen Kaschmir-Pullover gehüllt, der über eine Samt-Hose fiel. Es schien, als wäre sie beim Schlafen überrascht worden. „Guten Tag“, sagte sie freundlich.
„Mrs Reynolds?“, fragte Lilly.
„Ja, ich bin Mrs Reynolds, aber nennen Sie mich doch bitte Lydia.“ Sie lächelte, „wie kann ich Ihnen helfen?“
„Police Department San Diego. Ich bin Detective Lilly Preston und das ist mein Kollege Shawn O’Grady“, stellte Lilly vor.
Bei dem Wort Polizei verfinsterte sich die Miene der Frau. „Ist wieder was mit Philip, diesem Nichtsnutz?“, fragte sie empört, nicht besorgt – wie Lilly sofort
Weitere Kostenlose Bücher