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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wagner
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mir ein schlechtes Gewissen, weil wir ihn alleine gelassen haben, und ohne ihn nach Genf gereist sind. Doch wie hätten wir ihn denn dort versorgen können? Das Hotel hat ja noch nicht einmal über einen Aufzug verfügt. Warum straft mich Gott nur mit so einem Schicksal? Ich wünschte, Pfarrer Hofgang hätte schon mit Robert gesprochen. Er kann ihm bestimmt helfen, er kann ihm den nötigen Beistand leisten.]

    „Ja, Robert. Ich weiß, dass es für Behinderte schwierig ist, so wie die Normalen zu leben. Überall stoßen sie auf Hindernisse und Barrieren.“
    Die „Normalen!“ Sollte ich ihr erklären, dass ich nicht unnormal war, nur weil die Nerven in meinem Rückgrat nicht mehr arbeiten wollten? Sie hätte es nicht kapiert. Für sie war schon ein Mann unnormal, der seine Haare über den Hemdkragen hinaus wachsen ließ. Deshalb mochte sie auch Manfred nicht. Obwohl er hundertmal „normaler“ als meine Eltern war.
    Sie fuhr mit ihrem erbärmlichen Versuch fort, sich zu entschuldigen und sich rauszureden.

    „Vielleicht könnten wir ja den nächsten Urlaub wieder zusammen verbringen, so wie früher? Was meinst du?“
    [Hoffentlich sagt er nicht zu! Ich kann ihn nicht pflegen, ich will ihn nicht anfassen!]

    Meine Mutter hatte ja wirklich christliche Gedanken! Ich wollte ihr schon sagen, wie gerne ich doch mitfahren würde, doch ich brachte es einfach nicht über das Herz. Ich hatte tatsächlich Mitleid mit ihr.
    Aber trotzdem hatte ich noch eine offene Rechnung mit ihr. Nebenbei bemerkte ich mit Genugtuung, dass mein Alter zum wiederholten Male auf seine Armbanduhr schaute. Er schien schon wieder im Terminstress zu sein. Sehr gut! So schnell würde ich sie hier nicht rauslassen. Das war die geringste Strafe, die ich ihnen auferlegen konnte.

    „Vielen Dank für die Einladung, Mama. Aber ich möchte euch wirklich nicht zur Last fallen. Vielleicht fahre ich mit Manfred für eine Woche nach Holland, ans Meer. Ich habe gehört, dass sie dort spezielle Hotels für Behinderte haben. Mit Rampen, Aufzügen und extra für Rollstuhlfahrer eingerichtete Zimmer. Dort könnte ich mich bestimmt ein wenig erholen. Vielen Dank noch mal für das Opfer, das ihr bringen wolltet. Aber ihr habt sicher auch eine Pause nötig. Besonders du, Papa. Oder?“

    Als Antwort verzog er seine Mundwinkel ein wenig nach oben. Wieder sehr gesprächig heute, der Alte!

    „Übrigens hatte ich Besuch von einem deiner Freunde, Mama. Ein Pfarrer Wolfgang hat gestern bei mir hereingeschaut. Netter Typ. Allerdings ein wenig durcheinander, wie mir schien. Er sprang mitten im Gespräch auf und verschwand, ohne sich zu verabschieden. Ich hätte gedacht, dass so ein Kirchenmann über bessere Manieren verfügt. Na ja, er hat bestimmt auch kein leichtes Leben. Zölibat und so…“

    „Pfarrer
Hofgang
ist kein Freund, er hilft mir lediglich manchmal mit einem guten Rat weiter. Mein Leben besteht nicht ausschließlich aus Freude, mein Lieber!“

    Oha! Sie war ja richtig empört! So kannte ich sie ja gar nicht! Dabei hatte ich mit dem Spaß doch gerade erst begonnen!
    „Außerdem glaube ich kaum, dass er ein Problem mit dem Zölibat hat. Er ist ein ausgesprochen seriöser Mann, der sein Leben ganz dem christlichen Glauben und seinen Mitmenschen gewidmet hat. Er ist ein guter Mann“, sagte sie fast trotzig.
    Sie wirkte beinahe ein bisschen verliebt. Sehr interessant!

    „Der Pfarrer sagte mir, du hättest ihn zu mir geschickt. Ich habe nur leider nicht so ganz verstanden, was er mir eigentlich sagen wollte. Wie gesagt, er wirkte reichlich zerstreut. Vielleicht hatte er ja auch zu viel vom Messwein genascht?“
    [Wie kann Robert nur so gemein sein? Warum tut er mir das an? Pfarrer Hofgang würde niemals betrunken zu einem Gemeindemitglied gehen! Er würde nie im Leben auch nur ein Glas trinken, das weiß ich!]

    „Ich hatte ihn gebeten, einmal mit dir zu reden. Er hat viel Erfahrung mit kranken Menschen, und er hat schon sehr viel für sie getan. Ich muss dir gestehen: ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Du bist immer so alleine, gehst nie unter Menschen.“
    [Oh Gott! Ich habe „gehst“ gesagt. Hoffentlich hat er es nicht bemerkt!]

    „Der einzige Mensch in deiner Nähe ist dieser Manfred. Ich fürchte, er ist nicht der rechte Umgang für dich.“

    Langsam wurde es Zeit, mit meiner Lektion zu beginnen.

    „Erstens bin ich nicht mehr in der Lage irgendwo hinzu
gehen
. Wie du vielleicht bemerkt hast, sitze ich in einem Rollstuhl. Und das sicher nicht

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