Gnadenthal
noch einen zweiten Abend mit uns machen.»
«Welche Luise?», fragte Möller verständnislos.
«Na, die Chefin vom ‹Schwarzen Adler›.»
«Ach die», sagte Möller gedehnt, «nein, klar, hätte ich drauf kommen müssen. Und wieso sagt sie dir das? Für den Tourplan ist doch Frieder zuständig.»
«Ach, mit der Luise bin ich schon seit Jahren eng befreundet. Ist doch klar, dass die sich an mich wendet.»
Möller ließ ihn reden und beeilte sich mit dem Essen. Schließlich schnappte er sich das letzte Stück Brot und stand auf. «Ich muss noch arbeiten.» Er tippte sich an die Stirn. «Man sieht sich.»
Erst zwei Stunden später hörte er die Haustür ins Schloss fallen, und keine zehn Sekunden danach stand Maria bei ihm im Zimmer. «Du warst mal wieder absolut unmöglich! Dabei geht’s dem Heinrich echt beschissen. Er steckt in einer dicken Depression.»
Möller lachte schallend.
«Hör auf, Jörg, ich mein das ganz ernst. Wieso merkt das keiner von euch? Wenn Heinrich die ‹13› nicht hätte, ich weiß nicht, aber ich glaube, der hätte sich längst weggehängt.»
«Wäre sicherlich ein Gewinn, aber selbst das bringt der nicht.»
Es war ein Fehler gewesen, sich hinzulegen, um ein wenig Schlaf nachzuholen.
Haferkamp hatte schon einen doppelten Espresso getrunken, aber er fühlte sich immer noch benommen. Dabei wollte er unbedingt die Fotografien weitersichten, denn in den nächsten beiden Tagen würde er kaum dazu kommen. Morgen Abend fand im Laden eine Lesung statt, ein junger Lyriker, Türke der zweiten Generation, ein außergewöhnliches Talent. Üblicherweise lud man den Autor hinterher noch zum Essen oder wenigstens auf ein Getränk ein, und so würde er kaum vor Mitternacht wieder zu Hause sein. Am Dienstagabend war er mit Freunden zum Doppelkopfspielen verabredet, das wollte er auf gar keinen Fall ausfallen lassen. Den ganzen Sommer über hatte ihm der Sinn nicht nach Vergnügen gestanden, und er hatte ein ums andere Mal abgesagt.
Er ging auf die Dachterrasse hinaus und ließ sich so lange vom Wind durchpusten, bis er fror, dann setzte er sich an den Schreibtisch.
Der Fotostapel von 1979 war besonders dick, kein Wunder, es waren auch die Bilder von ihrem Urlaub in der Bretagne dabei. Sie hatten eine alte Villa in der Nähe von Concarneau gemietet, für sechs lange Wochen. Auf drei Autos hatten sie sich verteilt und waren im Treck gefahren. Er hatte sich für die Tour den VW Variant seines Vetters geliehen, denn seinem altersschwachen Käfer hatte er eine so weite Strecke nicht mehr zugetraut.
Drei Autos, voll gepackt bis unters Dach, zehn Leute von der ‹13› und Hansjörgs damalige Flamme, eine verhuschte Siebzehnjährige, deren Namen er vergessen hatte. Maria und Hartmut waren schon Mitte Juli nach Israel geflogen, um dort bis zum Herbst in einem Kibbuz zu arbeiten, und Frieder hatte unverhofft einen Praktikumsplatz in einer Werbeagentur bekommen und war erst nach vier Wochen zu ihnen gestoßen.
Gott, was war die Anreise für eine Himmelfahrt gewesen! Sie hatten sich die Route vorher nur flüchtig auf der Karte angeschaut und waren einfach losgegondelt. Um zehn Uhr am Sonntagmorgen waren sie mit dem Vermieter zur Schlüsselübergabe verabredet gewesen und irgendwann spät am Samstagabend in Duisburg abgefahren. Kurz hinter Paris hatten sie, als Belohnung dafür, dass sie die Périphérique überlebt hatten, ausgiebig Rast gemacht und das Picknick verzehrt, das Dagmar und Johanna vorbereitet hatten. Als sie endlich wieder in die Gänge gekommen waren, bis auf die Fahrer alle einigermaßen benebelt vom guten Aldiwein, hatte Kai feststellen müssen, dass die Batterie in seinem Kadett leer war – er hatte das Licht brennen und das Autoradio dudeln lassen. Selbstverständlich hatte niemand ein Überbrückungskabel dabeigehabt, und so hatte Hansjörg Kai in den Schlepp genommen, und er selbst war dicht hinter den beiden geblieben und hatte stumm gebetet, dass sie keiner Polizeistreife begegneten. Mit einem unbeleuchteten Fahrzeug in tiefster Nacht auf der Autobahn erwischt zu werden, das wäre verdammt teuer geworden.
Als sie endlich bei der Villa angekommen waren, war es weit nach Mittag gewesen, und der Vermieter hatte sie mit einem Schwall unmissverständlicher Sätze empfangen. Sie hatten Johanna vorgeschickt, die als Einzige einigermaßen Französisch sprach, und so hatten sich die Wogen schnell geglättet.
Das Haus war alt, verwinkelt und ein bisschen muffig, aber es lag gleich
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