Gnadentod

würden, wüssten Sie, dass das nichts Besonderes ist. Ich bin Mr. Emotion. Ich denke es, schon sage ich es, im Gehirn, aus dem Mund. Sogar einem beschissenen Fremden gegenüber verleihe ich meinen Emotionen Ausdruck, wenn mir danach ist, also handelt es sich nicht um einen Fortschritt.«
    Weiteres gedämpftes Fluchen.
    »Der einzige Grund, weshalb ich zugelassen habe, dass Daddy mich in diese …«Er brach ab.
    »Was ist der einzige Grund, Eric?«
    »Er hat mich in einem schwachen Moment erwischt. Es war Vollmond, und ich hatte nur Scheiße im Kopf. Glauben Sie mir, das passiert mir nicht noch mal. Erster Punkt der Geschäftsordnung: heute Abend zurück nach Palo Alto. Zweiter Punkt: mir einen neuen Zimmergenossen besorgen, der mich nicht verpfeift, wenn ich beschließe, von der Routine abzuweichen. Das ist Blödsinn, verstanden? Ich weiß es, Dr. Manitow weiß es, und wenn Sie das ganze Papier auf der Wand verdient haben, sollten Sie es auch wissen.«
    »Viel Lärm um nichts«, sagte ich.
    »Es ist sicher kein Sommernachtstraum - keine Komödie in meinem Leben, dottore, ich bin ein armes, armes Tragödienkind. Meine Mutter hat ein schreckliches Ende genommen, also habe ich ein Recht darauf, unausstehlich zu sein, stimmts? Ihr Tod hat mir Spielraum verschafft.« Er presste die Hände zusammen wie zum Gebet. »Vielen Dank, Mom, für meilenweiten Spielraum.«
    Er rutschte noch weiter nach unten, sodass er beinahe im Sessel lag. »Okay, reden wir über ein etwas erfreulicheres Thema - wie wär’s denn mit den Dodgers?«, sagte er lächelnd.
    Ich sagte: »Da Sie nach Stanford zurückgehen und ich vermutlich nicht mehr mit Ihnen reden werde, werde ich mir jetzt Ihren Zorn zuziehen, indem ich Ihnen vorschlage, dass Sie dort jemanden aufsuchen, mit dem Sie reden können … lassen Sie mich ausreden, Eric. Ich sage nicht, dass Sie dysfunktional sind. Aber Sie haben etwas Schreckliches durchgemacht und -«
    »Sie sind so was von neben der Kappe«, sagte er, bevor er in einem beunruhigend sanften Tonfall fortfuhr. »Wie können Sie dasitzen und über das urteilen, was ich erfahren habe?«
    »Ich urteile nicht, ich versetze mich in Sie hinein. Ich war älter als Sie, als mein Vater starb, wenn auch nicht viel. Er hat seinen Tod ebenfalls selbst herbeigeführt. Ich war ein ganzes Stück älter, als meine Mutter starb, aber der Verlust war schwerer, weil ich ihr näher stand und ich jetzt Waise war. Da ist etwas dran - an dem Alleinsein. Der Tod meines Vaters war ein harter Schlag für mein Urvertrauen. Die Tatsache, dass dir etwas derart Wichtiges weggenommen werden kann, einfach so. Die Machtlosigkeit. Man sieht die Welt plötzlich mit anderen Augen. Ich glaube, dass es sich lohnt, darüber mit jemandem zu reden, der wirklich zuhört.«
    Seine schwarzen Augen waren unverwandt auf mich gerichtet. An seinem Hals pulsierte eine Ader. Er lächelte. »Nette Ansprache, Kumpel. Wie nennt sich das? Konstruktive Selbstenthüllung? Technik Nummer Fünfundfünfzig C?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Genug gesagt.«
    »Tut mir Leid«, stieß er hastig mit leiser Stimme hervor. »Sie sind ein netter Kerl. Das Problem ist, dass ich es nicht bin. Also verschwenden Sie nicht Ihre Zeit.«
    »Sie scheinen viel darin investiert zu haben«, sagte ich.
    »Worin?«
    »Das launenhafte, unausstehliche Genie zu sein. Ich schätze, irgendwann hat man Ihnen beigebracht, Klugheit mit Überlegenheit in Verbindung zu bringen. Aber ich habe einige richtig schlimme Typen kennen gelernt, und für den Club sind Sie weiß Gott nicht qualifiziert.«
    Sein Gesicht wurde knallrot. »Ich habe mich entschuldigt, Mann. Es ist nicht nötig, Salz in die Wunde zu streuen.«
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Eric. Hier geht es um Sie, nicht um mich. Und, ja, Sie haben Recht, das war konstruktive Selbstenthüllung. Ich wollte einen Teil von mir offenbaren, in der Hoffnung, es könnte Sie dazu veranlassen, einen Kollegen zu konsultieren.«
    Er wandte sich von mir ab. »Das ist Schwachsinn. Wenn Dad sich nicht wie eine beschissene alte Jungfer aufgeführt hätte und ausgeflippt wäre, würde nichts von dem hier passieren.«
    »Das würde aber nichts an der Realität ändern.«
    »Jetzt machen Sie aber halblang.«
    »Vergessen Sie die Philosophie, Eric. Vergessen Sie die Einführung in Psychologie. Ihre Realität ist das, was Sie erfahren. Die meisten Menschen in Ihrem Alter müssen nicht das ertragen, was Sie ertragen haben. Die meisten sind nicht interessiert