Gnadentod
Zeit mit dem Anruf.
Im Lauf der nächsten dreiundsechzig Minuten benutzte ich jeden Trick, den ich kannte, um meine Wut zu mildern, und wärmte einen harten Plastikstuhl, während Moore ans Telefon ging und irgendwelche Papierstapel von links nach rechts schob. Nach zwanzig Minuten Wartezeit trat ich erneut an den Tresen, und Moore sagte: »Warum gehen Sie nicht einfach nach Hause, Sir? Falls er Sie wirklich kennt, hat er Ihre Nummer.«
Meine Hände ballten sich zu Fäusten. »Nein, ich warte.«
»Wie Sie wünschen.« Moore stand auf, ging in ein Hinterzimmer und kam mit einer großen Tasse Kaffee und einem Gebäckstück mit Zuckerglasur zurück. Er wandte mir beim Essen den Rücken zu, biss sehr kleine Stücke ab und wischte sich mehrfach über das Kinn. Ein paar Uniformierte kamen und gingen, einige von ihnen grüßten Moore, wenn auch keiner mit Begeisterung. Ich dachte an Stacy und Eric, die zugesehen hatten, wie ihr Vater von LAPD-Cops abgeführt wurde.
Um Viertel nach fünf kam ein älteres Ehepaar in zueinander passenden grünen Strickjacken ins Revier und fragte Moore, was sie machen sollten, ihr Hund sei entlaufen. Moore runzelte skeptisch die Stirn und gab ihnen die Telefonnummer des Tierheims. Als die Frau ihm eine weitere Frage stellte, sagte Moore: »Ich bin nicht das Tierheim«, und drehte ihr den Rücken zu.
»Dafür sind Sie ein kleines Arschloch«, sagte der alte Mann.
»Herb«, sagte seine Frau und zog ihn mit sanfter Gewalt zum Ausgang.
Beim Hinausgehen sagte er zu ihr: »Und da wundern sie sich, warum niemand sie leiden kann.«
Es war zwanzig nach fünf. Eric und Stacy waren nirgendwo zu sehen. Falls sie hierher gefahren waren, hatte man ihnen wahrscheinlich erlaubt, nach oben zu gehen, aber Moore wollte es mir nicht sagen.
Ich war mit meinem Seville hierher gefahren, im Windschatten von Richards schwarzem BMW, mit dem Eric vom Tal nach Westwood jagte und sich dort durch den Verkehr schlängelte. Es war leicht, ihm zu folgen: Der Wagen war wie eine Klinge aus Onyx, die durch die schmutzige Luft schnitt. Der Wagen, bei dem ich mich gefragt hatte, ob er das Fahrzeug war, das Paul Ulrich auf dem Mulholland Drive gesehen hatte. Richard, Eric …
Der Junge fuhr viel zu schnell und zu riskant. An der Kreuzung Sepulveda und Wilshire fuhr er über eine rote Ampel, stieß beinahe mit dem Pick-up einer Gärtnerei zusammen, wich auf die mittlere Spur aus und schoss davon, während die anderen ein Hupkonzert veranstalteten. Ich war zwei Wagen hinter ihm und musste an der Ampel anhalten, sodass ich ihn aus den Augen verlor. Als ich am Revier ankam, war von dem BMW nichts zu sehen. Diesmal gab es auf dem Parkplatz der Polizei keinen Abstellplatz für mich. Ich fuhr mehrmals um den Block und ergatterte schließlich zwei Querstraßen entfernt eine Lücke. Ich lief die Strecke zum Revier und kam außer Atem an.
Ich erinnerte mich an die Furcht in Stacys Augen, als Korn und Demetri ihren Vater auf den Rücksitz ihres kotbraunen zivilen Einsatzwagens geschoben hatten. Tränenspuren hatten sich über ihr Gesicht gezogen. Als Korn die Tür des Polizeiwagens zugeschlagen hatte, hatte sie lautlos den Namen ihres Vaters gesagt. Eric hatte sie zum BMW gezerrt, ihr die Tür geöffnet und sie auf den Beifahrersitz manövriert. Er hatte mir einen wütenden Blick zugeworfen, war zur Fahrerseite gelaufen, hatte den Wagen mit viel Gas gestartet und die Drehzahlen zu einem trotzigen Winseln hochgetrieben. Mit schlitterndem Heck und durchdrehenden Reifen war er losgefahren.
»Wo sind die Kinder?«, fragte ich Milo.
Irgendetwas an meiner Stimme ließ ihn zusammenzucken. »Reden wir oben drüber, Alex.«
Als Moore meinen Namen hörte, hob er den Kopf. »Detective Sturgis«, sagte er. »Dieser Gentleman hat auf Sie gewartet.«
Milo grunzte und führte mich zum Treppenhaus. Wir gingen in den ersten Stock, aber anstatt hineinzugehen, blieb er an der Feuertür stehen und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. »Lass mich ausreden. Das war nicht meine Entscheidung -«
»Dann hast du diese beiden -«
»Die Anweisung, Doss abzuholen und zu vernehmen, kam von Downtown. Anweisung, nicht Ersuchen. Downtown behauptet, sie hätten versucht mich zu erreichen. Ich war draußen in Venice, und statt sich energischer darum zu bemühen, mich ans Telefon zu kriegen, haben sie mich übergangen und Korn die Anweisung erteilt.«
»Demetri sagte, du wüsstest Bescheid.«
»Demetri ist ein Arschloch.« Sein Hals quoll über den Kragen.
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