Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
»Sie glauben wahrscheinlich an Altruismus um seiner selbst willen. Gute Taten tragen ihren Lohn in sich. Ich glaube, das Leben ist im Wesentlichen ein Vermeidungsparadigma: Leute tun Dinge, um zu vermeiden, dass sie bestraft werden.«
    »Sprechen Sie aus persönlicher Erfahrung?«
    Er ließ sich in dem Sessel ein Stück nach hinten sinken. »Gut, gut, gut. Ist das nicht ein bisschen manipulativ, wenn man bedenkt, dass ich erst knapp fünf Minuten hier bin, und das eigentlich nicht einmal auf eigenen Wunsch?«
    Ich sagte nichts.
    Er sagte: »Wenn Sie zu penetrant werden, komme ich wieder auf die Behandlung zurück, die ich meinem Vater habe angedeihen lassen, als er zufällig auf meinen Meditationsort stieß.«
    »Und die wäre?«
    »Ich habe ihn total abblitzen lassen - was ihr absichtlichen Mutismus nennt.«
    »Wenigstens ist er absichtlich.«
    Er starrte mich an. »Das heißt?«
    »Das heißt, dass Sie es unter Kontrolle haben.«
    »Habe ich das? Gibt es wirklich so etwas wie einen freien Willen?«
    »Wenn es keinen freien Willen gibt, wozu braucht man dann Schuldgefühle, Eric?«
    Er runzelte nicht einmal eine Sekunde die Stirn, sondern fegte seine Verblüffung mit einem Lächeln beiseite. »Aha!«, sagte er, während er an einem Knopf seines zerknitterten Hemdes herumfingerte. »Ein Philosoph. Wahrscheinlich von einer Ivy-League-Uni - werfen wir doch mal einen Blick auf diese Diplome … Oh. Tut mir Leid, die Uni. Sind Sie hier geboren?«
    »Im Mittleren Westen.«
    »Getreide und Kühe und trotzdem ein Philosoph - das klingt langsam wie Mein Essen mit Andre.«
    » Ihr Lieblingsfilm?«, fragte ich.
    »Er hat mir gefallen, wenn man das Niveau des Geplauders bedenkt. Trotzdem ist Lethal Weapon mehr nach meinem Geschmack.«
    »Oh?«
    »Der Trost der Einfachheit.«
    »Weil das Leben kompliziert ist.«
    Er öffnete den Mund, um zu antworten, fing sich jedoch noch rechtzeitig und sah noch einmal zu meinen Diplomen hinüber, bevor er seinen Blick wieder auf den Teppich heftete. Etwa eine Minute lang sagte keiner von uns ein Wort, dann sah er auf. »Spielen wir, wer den längeren Atem hat? Technik Nummer sechsunddreißig B?«
    »Es ist Ihre Zeit«, sagte ich.
    »Ihr Beruf erfordert Geduld. Darin wäre ich hundsmiserabel. Man hat mir gesagt, ich könnte Dummköpfe nur schwer ertragen.«
    »Wer hat das gesagt?«
    »Jeder. Dad. Er wollte mir ein Kompliment machen. Er ist ziemlich stolz auf mich und zeigt es, indem er seine Unterstützung offen zur Schau stellt - da haben Sie einen Fall konstruktiver Schuldgefühle.«
    »Welcher Schuld ist sich Ihr Vater bewusst?«, fragte ich.
    »Kontrollverlust. Seine Kinder allein großzuziehen, obwohl wir alle drei wissen, dass er wirklich lieber durch die Gegend fliegen und Immobilien anhäufen würde.«
    »Es ist schließlich nicht seine Entscheidung gewesen.«
    »Nun ja«, sagte er, während seine Mundwinkel sich leicht hoben, »Dad ist nicht immer rational. Aber wer ist das schon. Um die Wurzeln seiner Schuldgefühle zu verstehen, müssten Sie etwas über seine Herkunft wissen - tun Sie das?«
    »Warum klären Sie mich nicht auf?«
    »Er ist ein typischer Selfmademan, die Creme der Immigranten. Sein Vater ist Grieche, seine Mutter Sizilianerin. Sie hatten ein Lebensmittelgeschäft in Bayonne, New Jersey. In deren Welt heißt Familie Mama, Papa, Kinderchen, Weinblätter, Furzen nach zu viel Suppe, der übliche mediterrane Schnickschnack. Aber der arme Daddy sitzt da ohne eine Mama in seiner Familie - er hat seine Frau nicht gerettet.«
    »Stand das in seiner Macht?«
    Sein Gesicht rötete sich, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Wie zum Teufel soll ich das wissen? Warum diese Art Frage überhaupt stellen, wenn sie von der Struktur her überhaupt nicht beantwortet werden kann? Warum sollte ich irgendeine Ihrer Fragen beantworten müssen?«
    Er sah zur Tür hinüber, als würde er über eine Flucht nachdenken. »Was soll das bringen?«, murmelte er und rutschte tiefer.
    »Die Frage hat Sie aufgebracht«, sagte ich. »Hat irgendjemand sonst Ihnen diese Frage gestellt?«
    »Nein«, sagte er. »Und warum sollte ich einen Scheißdreck um irgendjemanden sonst geben? Warum sollte ich einen beschissenen Scheißdreck um die beschissene Vergangenheit geben? Was jetzt passiert, ist das … Vergessen Sie’s, es hat eindeutig keinen Sinn, das zu erörtern. Fangen Sie nicht an zu triumphieren, weil ich gleich bei meinem ersten Besuch bei Ihnen Emotionen zeige. Wenn Sie mich kennen

Weitere Kostenlose Bücher