Gnadentod
auf Michigan verfallen - auf vertraute Muster -, weil Psychopathen im Grunde ihres Herzens unflexibel sind, es muss für sie immer eine Art Drehbuch geben.
Ich studierte Mitchells Bild, seine toten Augen, sein ausdruckloses Gesicht. Er besaß einen üppigen Bartwuchs. Stark genug, um einen riesigen Schnurrbart hervorzubringen.
Doch als ich versuchte mir Ulrichs Gesicht vorzustellen, war der Schnurrbart alles, was ich sah.
Ich bemühte mich, die anderen körperlichen Merkmale zu visualisieren.
Ein mittelgroßer Mann, Ende dreißig bis vierzig, was in beiden Fällen perfekt auf Burke passte.
Inzwischen hatte er kürzeres und dünnere» Haar als auf einem der Bilder Burkes - gelichtet bis zu einem flaumigen Bürstenschnitt. Jede der Fotografien Burkes offenbarte einen stetigen Haarverlust, also passte das auch.
Der Schnurrbart … eine bessere Maske war kaum vorstellbar. Ich hatte eine Extravaganz in ihm gesehen, die insbesondere zu seiner konservativer Kleidung in Widerspruch stand.
Finanzberater, die Ehrbarkeit in Person … Etwas anderes, das Ulrich gesagt hatte - eine der ersten Sachen, die er gesagt hatte -, kam mir wieder in den Sinn: Bislang sind unsere Namen nicht in der Presse aufgetaucht. Wir werden doch dafür sorgen können, dass das so bleibt, nicht wahr, Detective Sturgis?
Besorgt um Publicity. Sehnsucht nach Publicity.
Milo hatte geantwortet, dass die beiden wahrscheinlich von Nachstellungen der Medien verschont blieben, aber Ulrich hatte das Thema nicht auf sich beruhen lassen, sondern hatte von fünfzehn Minuten Ruhm geredet.
Dieser Spruch stammt von Andy Warhol, und man sieht ja, was mit ihm passiert ist - geht ins Krankenhaus … hat es in einem Leichensack wieder verlassen … Berühmtsein nervt… sieh dir Prinzessin Di an, sieh dir Mate an.
Damit hatte er Milo wissen lassen, dass es Ruhm war, wonach er gierte. Er spielte mit Milo, so wie er mit den Cops in Seattle gespielt hatte.
Er kam krimineller Berühmtheit so nahe wie irgend möglich, ohne je ein komplettes Geständnis abzulegen.
Es war kein Zufall gewesen, dass er und Tanya Stratton an jenem Montag ihren Spaziergang am Mulholland gemacht hatten.
Stratton hatte kein Geheimnis daraus gemacht: Im Grunde kommen wir selten hier herauf, außer sonntags. Sie hatte sich über die Änderung der Routine geärgert. Darüber, dass Paul darauf bestanden hatte.
Sie hatte sich Milo gegenüber beklagt, dass alles Pauls Idee gewesen sei. Einschließlich der Entscheidung, mit Milo lieber am Schauplatz des Verbrechens zu reden als zu Hause. Ulrich hatte behauptet, er betrachtete es als eine Art Therapie für Tanya, aber sein wahres Motiv war ein ganz anderes gewesen: Milo von Ulrichs heimischem Revier fern zu halten und sich ein weiteres Dejá-vu-Erlebnis zu verschaffen.
Ulrich hatte davon gesprochen, welch ein entsetzliches Erlebnis die Entdeckung von Mate gewesen war, doch nun wurde mir bewusst, dass keine wahre Emotion dahinter gestanden hatte.
Ganz im Gegensatz zu Tanya Stratton. Sie war erkennbar außer sich gewesen, begierig wegzukommen. Aber Ulrich hatte einen liebenswürdigen Eindruck gemacht, hilfsbereit, entspannt. Zu entspannt für jemanden, der mit einem Blutbad konfrontiert worden war.
Ein Typ für die freie Natur - Fusco hatte gesagt, Michael Burke fahre Ski und halte sich für einen Naturburschen - Ulrich hatte erzählt, dass man fit bleiben müsse, und über die Schönheit der Landschaft gesprochen.
Wenn man einmal an dem Tor vorbei ist, fühlt man sich wie in einer anderen Welt.
O ja.
In seiner Welt.
Er war ein liebenswürdiger Typ, aber auf Tanya Stratton schien sein Charme keinen großen Eindruck mehr zu machen. War sie nervös, weil ihr an ihrem Freund etwas seltsam erschienen war? Oder hatte lediglich ihre Beziehung zu stagnieren begonnen?
Ich erinnerte mich an ihre Blässe, ihre unsicheren Schritte. Die dünnen Haarbüschel, die dunkle Brille - verbarg sie etwas?
Eine zerbrechliche Frau.
Eine kranke Frau?
Plötzlich begriff ich, und mein Herz schlug schneller: Eines von Michael Burkes Verhaltensmustern bestand darin, sich kranken Frauen anzuschließen, sich mit ihnen anzufreunden und sie zu pflegen.
Und sie dann aus dieser Welt zu geleiten.
Er genoss das Töten auf so vielen Ebenen. Der vollendete Dr. Death, und auf die eine oder andere Weise würde die Welt es erfahren. Wie Eldon Mates Ruhm - die Legitimität, die Mate erworben hatte, während er fünfzig Lebenslichter ausknipste - an Burke genagt haben musste.
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