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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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streichelte ihn, und seine kurzen Beine wedelten ekstatisch.
    »Oh, du verruchtes Weibsstück. Zurück ins Sägewerk.«
    »Heute keine Säge. Nur das hier«, sagte sie und deutete auf den Meißel.
    »Ich meinte mich.«
    Sie sah mich über die Schulter an. »Hast du einen harten Tag vor dir?«
    »Das Übliche«, sagte ich. »Die Probleme anderer Leute. Also das, wofür ich bezahlt werde, richtig?«
    »Wie war deine Verabredung mit Milo? Hat er irgendwas über Dr. Mate rausgefunden?«
    »Bis jetzt nicht. Er hat mich gebeten, ein paar Nachforschungen anzustellen, und ich dachte, ich fange mal mit dem Internet an.«
    »Treffer bei Mate zu erzielen dürfte nicht schwierig sein.«
    »Zweifellos«, sagte ich. »Aber in diesem Müllhaufen etwas Wertvolles zu finden ist eine andere Geschichte. Wenn ich in einer Sackgasse lande, versuche ich es in der Forschungsbibliothek, vielleicht am Bio-Med.«
    »Ich bin den ganzen Tag hier«, sagte sie. »Wenn du mich nicht unterbrichst, arbeite ich mehr, als für meine Hände gut ist. Wie wär’s mit einem frühen Abendessen?«
    »Gut.«
    »Ich meine, Baby, bleib nicht zu lange weg. Ich will dich sagen hören, dass du mich liebst.«
     
    Du Unschuldsengel.
    Oft, und zwar besonders dann, wenn ich ungewöhnlich viele Patienten hatte, haben wir Abende miteinander verbracht, an denen ich sehr wenig rede. Trotz meiner ganzen Ausbildung brachte ich ab und zu die Worte einfach nicht heraus. Manchmal dachte ich an die netten Dinge, die ich ihr sagen würde, tat es dann aber nicht.
    Aber wenn wir miteinander schliefen … das Physische setzte in meinem Fall das Emotionale frei, und damit fiel ich wohl in eine Y-Chromosomen-Schublade.
    Man nimmt allgemein an, dass Männer Liebe benutzen, um Sex zu bekommen, und Frauen es genau umgekehrt machen. Wie die meisten angeblichen Volksweisheiten ist auch diese alles andere als unfehlbar; ich kannte Frauen, die gedankenlose Promiskuität in eine hohe Kunst verwandelten, und Männer, die derart durch Zuneigung gebunden waren, dass die Vorstellung von Sex mit einer Fremden sie abstieß, sogar bis hin zur Impotenz.
    Darüber wo Richard Doss auf dieser Skala stand, war ich mir nie ganz klar geworden. Als ich ihn kennen lernte, hatte er seit mehr als drei Jahren nicht mehr mit seiner Frau geschlafen.
    Das erzählte er mir innerhalb weniger Minuten, nachdem er mein Arbeitszimmer betreten hatte. Als wären seine Entbehrungen für mich von irgendeiner Bedeutung. Er hatte jeden Vorschlag abgewiesen, neben seiner Tochter noch andere Familienmitglieder von mir behandeln zu lassen, redete aber trotzdem zunächst nur von sich selbst. Falls er damit etwas klarstellen wollte, habe ich nie begriffen, was es war.
    Er hatte Joanne Heckler auf dem College kennen gelernt, bezeichnete die Verbindung als »ideal« und führte die Tatsache, dass er mehr als zwanzig Jahre mit ihr verheiratet geblieben war, als Beweis an. Als ich ihn zum ersten Mal sah, war sie seit dreiundneunzig Tagen tot, aber er sprach von ihr, als gehöre sie seit langem der Vergangenheit an. Als er zugab, sie über alles geliebt zu haben, sah ich keinen Grund, ihm nicht zu glauben - abgesehen davon, dass seine Stimme, seine Augen und seine Körperhaltung keinerlei Gefühl verrieten.
    Allerdings war er nicht gefühlskalt. Als ich die Seitentür öffnete, die zu meinem Arbeitszimmer führt, stürmte er ins Haus, während er in ein winziges silbernes Handy sprach, und auch nachdem wir in meinem Zimmer waren und ich hinter meinem Schreibtisch Platz genommen hatte, unterhielt er sich lebhaft weiter mit seinem Gesprächspartner. Er hob seinen Zeigefinger, um mich wissen zu lassen, dass es nur noch eine Minute dauern würde.
    Nach einer Weile sagte er: »Okay, ich muss Schluss machen, Scott. Bleib am Ball, das ist in diesem Moment das Wichtigste. Wenn sie uns den versprochenen Kurs geben, sind wir drin wie Flynn. Andernfalls ist die Sache gestorben. Bring sie dazu, sich jetzt festzulegen, nicht später, Scott. Du weißt, wie der Hase läuft.«
    Seine Augen funkelten, und er wedelte mit der freien Hand.
    Er genoss es.
    »Wir reden später weiter«, sagte er, schaltete das Telefon aus, setzte sich und schlug die Beine übereinander. »Geschäfte?«, fragte ich.
    »Das Übliche. Okay, zuerst Joanne.« Als er den Namen seiner Frau aussprach, wurde seine Stimme tonlos.
    In physischer Hinsicht entsprach er keineswegs meinen Erwartungen. Meine Ausbildung sollte mich eigentlich zu einem unvoreingenommenen Menschen machen,

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