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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Broccoli?«
    »Klar.«
    »Ich nicht. Es gibt tatsächlich Querverbindungen zwischen Pflanzen und Tieren, aber nichts von dem, woran Joanne gearbeitet hat, fällt in diese Kategorie - ihre Ausrüstung, ihre Reagenzien. Man hat sie jedem Bluttest unterzogen, der der Medizin bekannt ist.« Er schob seine schwarze Seidenmanschette mit dem Daumen zurück. Seine Uhr war schwarz, ihr goldenes Armband so schmal, dass es wie eine Tätowierung aussah.
    »Wir sollten nicht abschweifen«, sagte er. »Der Grund dafür, was mit Joanne geschehen ist, wird sich nie exakt bestimmen lassen. Zurück zum Kernpunkt: ihr Rückzug. Als Erstes hat sie ihr gesellschaftliches Leben aufgegeben. Sie hat sich geweigert, mit irgendjemandem auszugehen. Keine Geschäftsessen mehr - zu müde, kein Hunger. Obwohl sie im Bett nichts anderes tat als essen. Wir sind Mitglieder im Cliffside Country Club, und sie hat Tennis und ein bisschen Golf gespielt, war manchmal im Fitnesscenter. Damit war Schluss. Kurz daraufhat sie angefangen, früher zu Bett zu gehen und später aufzustehen. Schließlich ist sie die ganze Zeit im Bett geblieben mit der Begründung, die Schmerzen wären schlimmer geworden. Ich habe ihr gesagt, dass vielleicht ihre mangelnde Aktivität der Grund für ihre Schmerzen sein könnte - ihre Muskeln zögen sich zusammen, würden steif. Sie hat mir keine Antwort gegeben. Da habe ich angefangen, mit ihr zu Ärzten zu gehen.«
    Er schlug sein anderes Bein über. »Dann die Gewichtszunahme. Das Einzige, von dem sie sich nicht zurückgezogen hat, war Essen. Plätzchen, Kuchen, Kartoffelchips, alles, was süß und fett war.« Er verzog das Gesicht, als hätte er etwas Verdorbenes probiert. »Am Ende hat sie fünfundneunzig Kilo gewogen, hatte ihr Gewicht also in weniger als einem Jahr mehr als verdoppelt. Fünfzig zusätzliche Kilo reines Fett - ist das nicht unglaublich, Doktor? Es war schwer, in ihr die junge Frau wiederzuerkennen, die ich geheiratet hatte. Sie war sehr gelenkig. Sportlich. Und urplötzlich war ich mit einer Fremden verheiratet - mit einer asexuellen Außerirdischen. Wenn man mit einer Frau fünfundzwanzig Jahre zusammen ist, hört man nicht einfach auf, sie zu mögen, aber ich will nicht bestreiten, dass sich meine Gefühle für sie verändert haben - in jeder praktischen Hinsicht war sie nicht mehr meine Frau. Ich habe versucht ihr zu helfen, was das Essen betraf, und habe vorgeschlagen, dass sie lieber Obst statt diese Kekse essen sollte. Aber davon wollte sie nichts wissen und fing an, die Lebensmittellieferungen zu organisieren, wenn ich nicht zu Hause war. Ich vermute, ich hätte drastische Maßnahmen ergreifen können - sie auf eine dieser Abmagerungspillen setzen, ein Schloss am Kühlschrank anbringen, aber Essen schien das Einzige zu sein, was ihr Interesse wach hielt. Ich hatte den Eindruck, es wäre grausam, ihr das vorzuenthalten.«
    »Ich nehme an, jede mögliche Stoffwechselstörung ist überprüft worden.«
    »Schilddrüse, Hirnanhangdrüse, Nebennieren, es gibt nichts, was nicht berücksichtigt worden wäre. Ich könnte inzwischen als Endokrinologe mein Geld verdienen. Die Gewichtszunahme hatte einfach den Grund, dass Joanne sich pausenlos voll gestopft hat. Wenn ich vorgeschlagen habe, ein bisschen weniger zu essen, hat sie genauso wie auf alle meine anderen Empfehlungen reagiert. Sie hat einfach völlig abgeschaltet - hier, sehen Sie.«
    Er zog zwei plastikumhüllte Schnappschüsse aus der Handtasche. Er machte sich nicht die Mühe, sie mir zu überreichen, sondern streckte nur seinen Arm aus, sodass ich aufstehen musste, um sie entgegenzunehmen.
    »Vorher und nachher«, sagte er.
    Das linke Bild war ein Farbfoto eines jungen Paars. Grüner Rasen, große Bäume, imposante sandfarbene Gebäude. Da ich vor einigen Jahren mit einem Professor aus Stanford an einem Forschungsprojekt zusammengearbeitet hatte, erkannte ich das Universitätsgelände sofort wieder.
    »Ich war im letzten Studienjahr und sie im zweiten«, sagte Doss. »Das Foto ist direkt nach unserer Verlobung gemacht worden.«
    Für viele Studenten hatten die Siebzigerjahre lange Haare, Barte, zerrissene Jeans und Sandalen bedeutet. Die Gegenkultur machte den Designerlabeln erst Platz, als die Realität des Lebens in Form der Notwendigkeit des Geldverdienens Einzug hielt.
    Es sah so aus, als hätte Richard Doss diesen Prozess umgekehrt durchlebt. Auf dem College hatte er einen schwarzen Bürstenhaarschnitt gehabt. Auf dem Bild trug er ein weißes

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