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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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aber jeder entwickelt vorgefasste Meinungen, und mein geistiges Bild von Richard Doss beruhte auf den Informationen von Judy Manitow und dem fünfminütigen Gerangel am Telefon.
    Aggressiv, beredt, dominant. Ehemaliger Verbindungsstudent, Tennisclubmitglied. Tennispartner von Bob Manitow, der praktischer Arzt war, aber wie ein erfolgreicher Unternehmer aussah. Aus keinem bestimmten Grund hatte ich mit jemandem wie Bob gerechnet: hoch gewachsen, imposant, ein bisschen massig und mit der üblichen Managerfrisur: kurz, mit Seitenscheitel und silbergrauen Schläfen. Ein gut geschnittener dunkler Anzug, weißes oder blaues Hemd, konservative Krawatte, glänzende elegante Schuhe.
    Richard Doss war höchstens einsfünfundsechzig und hatte ein wettergegerbtes Koboldsgesicht mit einer breiten Stirn, das sich bis zu einer fast weiblichen Kinnspitze verjüngte. Er besaß die Figur eines Tänzers, sehr schlank mit breiten Schultern und einer schmalen Taille. Er hatte ausgesprochen große Hände mit manikürten, klargelackten Fingernägeln, außerdem diese Palm-Springs-Bräune, die man neuerdings wegen der Angst vor Melanomen kaum noch zu sehen bekam. Der lederne Teint von jemandem, der Warnungen vor Hautkrebs nicht zur Kenntnis nahm.
    Sein Haar war schwarz, gewellt, und er trug es so lang, dass er die Erinnerung an ein anderes Jahrzehnt wachrief. Der Afro des weißen Mannes. Dünnes Goldkettchen um den Hals. Sein schwarzes Seidenhemd hatte Brusttaschen und bauschige Ärmel; die obersten beiden Knöpfe standen offen und entblößten eine haarlose Brust von der Bräune des Gesichts. Seine ausgebeulte, maßgeschneiderte graue Tweedhose wurde gehalten von einem Gürtel aus Eidechsenhaut mit einer silbernen Schnalle. Passende Slipper, keine Socken. Er trug ein kleines schwarzes handtaschenähnliches Ding in einer Hand, das silberne Mobiltelefon in der anderen.
    Ich hätte ihn als Mr. Hollywood abgestempelt. Einer dieser Möchtegern-Produzenten, die man in den Cafés am Sunset Plaza herumhängen sieht. Der Typ mit einer billigen Wohnung auf der Basis eines Monatsmietvertrages, einer geleasten Corniche in lausigem Zustand, zu viel Freizeit und als Ideen verkleideten Intrigen.
    Richard Doss hatte sich von Palo Alto aus nach Süden vorgearbeitet und sich das L. A.-Image auf eine Weise zu Eigen gemacht, die an Parodie grenzte.
    »Meine Frau war ein Beweis für das Versagen der modernen Medizin«, sagte er, während das silberne Mobiltelefon erneut klingelte. Er rammte es an sein Ohr. »Hallo. Was? Okay. Gut… Nein, nicht jetzt. Ciao.« Klick. »Wo war ich - moderne Medizin. Wir waren bei mehreren Dutzend Ärzten. Sie haben alle möglichen Untersuchungen mit ihr gemacht. Computertomographie, Ultraschall, serologische Tests, toxikologische Tests. Zwei Lumbalpunktionen hat man bei ihr vorgenommen. Ohne wirklichen Grund, wie ich später herausfand. Der Neurologe hat nur >herumgefischt<.«
    »Welche Symptome hatte sie?«, fragte ich.
    »Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, empfindliche Haut, Müdigkeit. Mit der Müdigkeit hat es angefangen. Sie war immer ein Energiebündel gewesen. Einsachtundfünfzig, sechsundvierzig Kilo. Sie hat getanzt, Tennis gespielt, gejoggt. Die Veränderung war schrittweise - zuerst habe ich es für eine Grippe oder eins dieser verrückten Viren gehalten, die im Umlauf waren. Ich dachte, es sei das Beste, ihr aus dem Weg zu gehen und sie in Ruhe zu lassen. Als ich gemerkt habe, dass es etwas Ernstes war, bin ich kaum noch an sie rangekommen. Sie war auf einem anderen Planeten.« Er verhakte einen Finger unter der Goldkette. »Joannes Eltern sind nicht alt geworden, vielleicht war ihre Gesundheit aus dem Grund … Sie war immer eine gute Mutter, das hat auch aufgehört. Ich vermute, das war das wichtigste Symptom. Sie hat alle Brücken abgebrochen. Zu mir, zu den Kindern, zu allem.«
    »Judy hat mir erzählt, sie wäre Mikrobiologin gewesen. Woran hat sie gearbeitet?«
    Er schüttelte den Kopf. »Das wäre die nahe liegende Hypothese: Sie wurde von einem Krankheitserreger in ihrem Laboratorium infiziert. Logisch, aber falsch. Das hat man gleich zu Anfang überprüft - irgendeine entartete Mikrobe, Allergien, Überempfindlichkeit gegenüber einer Chemikalie. Sie hat tatsächlich mit Keimen gearbeitet, aber das waren pflanzliche Keime - vegetabile Krankheitserreger - Schimmel und andere Pilze, die Feldfrüchte befallen. Insbesondere Broccoli. Sie hatte ein USDA-Stipendium zur Untersuchung von Broccoli. Mögen Sie

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