Gnadentod
den Fotos aus. Ich musste wieder aufstehen, um sie ihm zurückzugeben.
»Wie ist Stacy damit fertig geworden?«, fragte ich.
Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, öffnete den Reißverschluss seiner Handtasche, steckte die Fotos hinein und schlug die Beine wieder übereinander. Er befummelte das Telefon, als hoffte er, ein Anruf würde ihn davor bewahren, meine Frage beantworten zu müssen.
»Stacy«, sagte er, »ist eine andere Geschichte.«
6
Ich schaltete den Computer ein. Eldon Mates Name ergab über hundert Treffer.
Die meisten Verweise waren Nachdrucke von Zeitungsartikeln, die Mates Karriere als Veranstalter von Reisen ohne Wiederkehr zum Thema hatten. Pro und Kontra, jede Menge ausgeprägte Stellungnahmen von Experten auf beiden Seiten, die allesamt auf intellektuellem Niveau gehalten waren. Nichts Psychopathisches, nichts von der kalten Grausamkeit, die den Mord ausgezeichnet hatte.
Auf einer »Dr. Death Homepage« erschienen ein schmeichelhaftes Foto Mates, kurze Zusammenfassungen seiner Freisprüche und eine Kurzbiographie. Mate war vor dreiundsechzig Jahren in San Francisco geboren worden, besaß einen Abschluss in Chemie von der San Diego State University und hatte als Chemiker für eine Ölgesellschaft gearbeitet, bevor er im Alter von vierzig Jahren sein Medizinstudium in Guadalajara, Mexiko, aufnahm. Sein Praktikum hatte er in einem Krankenhaus in Oakland absolviert und seine Zulassung als praktischer Arzt mit sechsundvierzig erhalten.
Keine Facharztausbildung. Die einzigen Jobs, die in den Zeitungsartikeln erwähnt wurden, waren Posten in über den ganzen Südwesten verteilten Gesundheitsämtern gewesen, wo Mate als Staatsdiener Immunisierungsprogramme überwacht und hinter Schreibtischen gehockt hatte. Keinerlei Anzeichen dafür, dass er jemals einen Patienten behandelt hatte.
Er hatte eine zweite Karriere begonnen, bei der er jedoch jeglichen Kontakt mit lebenden Menschen gemieden hatte. War er zur Medizin übergegangen, um damit dem Tod näher zu sein?
Der Name und die Telefonnummer am Ende der Seite gehörten zu Roy Haiseiden, seinem Anwalt. Er hatte keine E-Mail-Adresse aufgeführt. Dann folgten mehrere Euthanasiegeschichten: In den ersten ging es um den Fall Roger Damon Sharveneau, einen Atemtherapeuten in einem Krankenhaus in Buffalo, New York, der achtzehn Monate zuvor gestanden hatte, drei Dutzend Patienten auf der Intensivstation getötet zu haben, indem er Kaliumchlorid in ihre Infusionsschläuche injizierte - um »ihnen die Reise zu erleichtern«. Sharveneaus Anwalt behauptete, sein Mandant sei unzurechnungsfähig, ließ ihn von einem Psychiater untersuchen, der eine Borderline-Persönlichkeit diagnostizierte und ihm das Antidepressivum Imipramin verschrieb. Ein paar Tage später widerrief Sharveneau seine Aussage. Ohne sein Geständnis beschränkten sich die Beweise gegen ihn darauf, dass er in jeder Nacht, in denen sich ein zur Debatte stehender Todesfall ereignet hatte, in der Nähe der Intensivstation gewesen war. Dasselbe traf auf drei weitere Pflegekräfte zu, folglich wurde Sharveneau aus der Untersuchungshaft entlassen, und der Fall wurde als »noch nicht abgeschlossen« eingestuft. Sharveneau beantragte eine Erwerbsunfähigkeitsrente, gab einer Lokalzeitung ein Interview und behauptete, er habe unter dem Einfluss einer zwielichtigen Figur namens Dr. Burke gestanden, den niemand jemals gesehen hatte. Bald darauf starb er an einer tödlichen Überdosis Imipramin.
Der Fall löste eine Untersuchung anderer Atemtherapeuten in der Umgebung von Buffalo aus. Dabei stellte sich heraus, dass einige von ihnen, die in Krankenhäusern und Rehabilitationszentren arbeiteten, bereits straffällig geworden waren. Der Leiter der staatlichen Gesundheitsbehörde versprach, für schärfere Kontrollen zu sorgen.
Ich gab Sharveneaus Namen ein und fand nur einen Artikel, in dem der Fall aufgegriffen wurde und in dem erwähnt war, dass die ursprünglichen Ermittlungen auf der Stelle traten. Darüber hinaus verlieh der Verfasser seinen Zweifeln Ausdruck, dass die sechsunddreißig Todesfälle keine natürlichen Ursachen hatten.
Der nächste Link war ein jahrzehntealter Fall: Vier Krankenschwestern in Wien hatten insgesamt dreihundert Menschen getötet, indem sie eine Überdosis Morphium und Insulin verabreicht hatten. Sie waren verhaftet und verurteilt worden, wobei Gefängnisstrafen von fünfzehn Jahren bis lebenslänglich verhängt wurden. Eldon Mate wurde mit dem Satz zitiert, die
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