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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Mörderinnen hätten möglicherweise aus Mitleid gehandelt.
    Ein ähnlicher Fall aus Chicago: Zwei Jahre später hatten zwei lesbische Schwesternhelferinnen ältere, an einer unheilbaren Krankheit leidende Patienten erstickt. Nach einer Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft war eine mildere Haftstrafe für diejenige verhängt worden, die sich als Zeugin zur Verfügung gestellt hatte, lebenslänglich ohne Bewährung hatte die andere bekommen. Erneut war Mate mit dem Urteil nicht konform gegangen.
    Schließlich folgte ein Artikel aus Cleveland, der erst zwei Monate alt war. Kevin Arthur Haupt, der als Sanitäter in einem städtischen Krankenwagen die Nachtschicht fuhr, hatte beschlossen, die Behandlung von zwölf Alkoholikern, die er als Herzinfarktpatienten in seinem Wagen transportiert hatte, abzukürzen, indem er ihnen Mund und Nase zuhielt. Man kam ihm auf die Schliche, als eines der potenziellen Opfer sich als nicht so krank erwies wie erwartet, aufwachte, feststellte, dass es erstickt wurde, und sich zur Wehr setzte. Verhaftung, Anklage wegen mehrfachen Mordes, Schuldbekenntnis, dreißigjährige Haftstrafe. Mate fragte sich schwarz auf weiß, ob die zur Wiederbelebung gewohnheitsmäßiger Trinker verwandten Steuergelder tatsächlich sinnvoll eingesetzt würden.
    In einer alten Agenturmeldung über die Niederlande, wo Beihilfe zum Selbstmord nicht mehr als Straftatbestand galt, wurde die Behauptung aufgestellt, dass mittlerweile bereits zwei Prozent aller gemeldeten holländischen Todesfälle auf ärztliche Sterbehilfe zurückzuführen seien, während fünfundzwanzig Prozent aller Ärzte zugaben, dass sie als nicht lebensfähig eingeschätzte Patienten ohne deren Zustimmung euthanasiert hatten.
    Ich war vor einigen Jahren, als ich am Western Pediatrics Medical Center arbeitete, Mitglied in einem so genannten Ad-Hoc-Lebenserhaltungs-Komitee gewesen - sechs Ärzte und ich selbst waren vom Vorstand des Krankenhauses beauftragt worden, Richtlinien dafür zu entwickeln, unter welchen Bedingungen die Behandlung von Kindern, die an unheilbaren Krankheiten im Endstadium litten, abgebrochen werden konnte. Wir waren eine streitsüchtige Gruppe gewesen, hatten viel debattiert und kaum etwas getan. Aber jeder von uns wusste, dass kaum ein Monat verging, in dem nicht eine winzige Überdosis Morphium ihren Weg in das Gewirr von Schläuchen fand, die mit einem kleinen Arm verbunden waren. Kinder mit bösartigem Gehirntumor oder Knochenkrebs, verkümmerter Leber oder zerstörter Lunge, die einfach »aufhörten zu atmen«, nachdem ihre Eltern sich von ihnen verabschiedet hatten.
    Irgendeine mitfühlende Seele beendete das Leiden eines Kindes, das ohnehin gestorben wäre, und ersparte der Familie die Qual einer verlängerten Totenwache.
    Dieselbe Motivation, die auch Eldon Mate für sich in Anspruch nahm.
    Warum unterschied sich dieses Vorgehen also in meinen Augen von Mates selbstgefälligem Einsatz des Humanitron?
    Weil ich glaubte, dass Ärzte und Krankenschwestern auf Krebsstationen aus Mitgefühl handelten, gegenüber Mates Motiven aber argwöhnisch war?
    Weil Mate einen widerwärtigen und publicitysüchtigen Eindruck machte?
    War es die schlimmste Form der Heuchelei, wenn ich es akzeptierte, dass Leute im Verborgenen den lieben Gott spielten, während ich es mir herausnahm, von Mates unverstelltem Umgang mit dem Tod abgestoßen zu sein? Der kreischende kleine Mann mit der selbst gebastelten Tötungsmaschine hätte keinen Beliebtheitswettbewerb gewonnen. Na und? Spielte die Psyche des Reiseveranstalters eine Rolle, wenn das endgültige Reiseziel immer dasselbe war?
    Mein Vater war einen stillen Tod gestorben, von Leberzirrhose, Nierenversagen und einem allgemeinen körperlichen Zusammenbruch dahingerafft nach einem Leben voll schlechter Gewohnheiten. Die Muskeln verkümmerten, die Haut hing sackartig herunter, während er sich in einen verschrumpelten gelblichen Gnom verwandelte, den ich am Ende kaum noch erkannte.
    Als die Giftstoffe in seinem Körper überhand nahmen, dauerte es nur ein paar Wochen, bis Harry Delaware von der Lethargie über die Apathie schließlich ins Koma sank. Falls er am Ende vor Qualen geschrien hätte, hätte ich dann irgendwelche Bedenken im Hinblick auf das Humanitron gehabt?
    Und was war mit Menschen wie Joanne Doss, die litten ohne genaue Diagnose?
    Wenn man den Tod als Teil eines Bürgerrechts betrachtete, spielte eine medizinische Bezeichnung dann eine Rolle? Wessen Leben war es denn

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