Gnosis
ein paar Fragen stelle?»
«Kann das nicht warten?», fragte Carol Royce.
«Leider nicht, Ma’am.»
«Was gibt es denn? Michael Evans ist ein Psychopath. Er hat meine Tochter angegriffen, und sie hat sich verteidigt. Das ist alles.»
«Das will ich ja gerade feststellen.»
«Lass nur, Mom. Warte im Foyer. Sobald ich hier fertig bin, fahren wir rüber ins Hotel.»
Carol Royce nickte, gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn und bedachte Pastorelli mit finsterem Blick.
«Ich warte draußen», sagte sie eilig, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Winter tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen und putzte sich die Nase.
«Brauchen Sie noch einen Moment, Miss Zhi?», fragte Pastorelli.
«Nein», sagte Winter. «Ist schon okay.»
«Können Sie mir erzählen, was hier vorgefallen ist?», fragte der Detective und klappte dabei sein kleines Notizbuch auf.
«Ich habe mich mit Michael unterhalten, als meine Mutter hereinkam und …»
«Worüber haben Sie sich unterhalten?»
«Er wollte, dass wir wieder zusammenkommen.»
«Und was wollten Sie?»
«Ich wollte, dass er geht.»
«Mmm-hmm», machte Pastorelli und schrieb etwas auf.
«Er hat meine Mutter gestoßen und dann wollte er mich küssen.»
«Haben Sie ihn auch geküsst?»
«Nein … ich meine, ja, am Anfang schon, aber …»
«Sie haben ihn also geküsst. Und dann haben Sie auf ihn eingestochen.»
«Er ist über mich hergefallen.»
«Sie haben eine gerichtliche Verfügung gegen Mr. Evans erwirkt?»
«Die Idee kam von meiner Mutter. Ich hätte nicht geglaubt, dass Michael mir jemals etwas antun würde.»
«Also hat Mr. Evans Sie gar nicht bedrängt?»
«Ich habe es Ihnen doch eben schon gesagt …» Winter seufzte und begann nochmal von vorn. «Wir haben uns vor etwa einem Jahr kennengelernt. Damals wusste ich nicht, dass er verheiratet war.»
«Mmm-hmm.» Detective Pastorelli warf einen Blick in sein Notizbuch. «Was ist mit Tom Murdoch? Und Sam Whitford? Und Grace Lee? Wurden Sie von denen auch bedrängt? Oder kamen diese gerichtlichen Verfügungen auch alle von Ihrer Mutter?»
Winter verschränkte die Arme vor der Brust.
«Wie ist es möglich, dass eine Konzertgeigerin von so vielen Leuten belästigt wird?»
«Meine Musik hat eine gewisse Wirkung auf die Menschen.»
«Scheint so», sagte Pastorelli.
«Was wollen Sie damit sagen?»
«Sagen Sie es mir. Wenn ich es richtig sehe, haben drei verheiratete, reiche Männer – und eine Frau – ihre Familien verlassen, um Ihnen auf Ihrer Tournee zu folgen. Man kauft Ihnen hübsche Geschenke, führt Sie ein-, zweimal zum Essen aus, und wenn deren Ehepartner sie als vermisst melden, sprechen Sie plötzlich von ‹Belästigung› und verpassen denen eine gerichtliche Verfügung.»
«So war das nicht!», rief Winter. «Die Boulevardpresse hat mich als eine Frau dargestellt, die es auf verheiratete Männer abgesehen hat, aber das bin ich nicht! Ich bin nur eine Geigerin, mehr nicht. Ich habe keinen Einfluss darauf, was Menschen tun. Ich hatte keine Ahnung, dass diese Leute verheiratet waren, und als ich es herausgefunden hatte, habe ich die Beziehungen beendet. Ich kann nichts dafür, dass sie mir weiter hinterhergelaufen sind. Deshalb habe ich die gerichtlichen Verfügungen erwirkt. Diese Leute sind verrückt.»
«Auch Mr. Evans? War er auch verrückt?»
«Michael war intensiv», sagte Winter etwas sanfter. «Aber ich habe ihn nie für labil gehalten.»
«Warum dann die gerichtliche Verfügung?»
«Das habe ich doch schon gesagt. Meine Mutter wollte es so. Sie sagte, wenn ich es nicht täte, würde mir niemand mehr glauben, was die anderen betrifft.» Winter blickte ihm in die Augen und sah die Verachtung. «Hören Sie auf, mich so anzustarren.»
«Wie denn?»
«Als wäre ich eine Lügnerin.»
«Ihre Formulierung», sagte Pastorelli achselzuckend. «Nicht meine.»
Wütend sah Winter den Detective an. «Wenn Sie mich nicht verhaften wollen, möchte ich, dass Sie jetzt gehen.»
«Mmm-hmm. Aber bleiben Sie in der Stadt, bis Ihr Freund wieder zu sich gekommen ist und ich seine Aussage aufnehmen kann.» Pastorelli klappte sein Notizbuch zu und ging zur Tür. Er blieb stehen und wandte sich um. «Ist das da übrigens ein Geschenk von Mr. Evans oder einem Ihrer anderen Verehrer?»
«Was?»
«Ihr Kruzifix.»
Winter betrachtete die Silberkette, die sie um ihren Finger gewickelt hatte. «Die habe ich von meiner Mutter», sagte sie eilig.
Ein paar Sekunden lang schwieg Pastorelli. «Weshalb
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