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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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Sekunden später klebte sein Hemd an der Haut. Es war, als hätte man unter seinen Achseln zwei Wasserhähne aufgedreht.
    Das Baby schrie nun doppelt so laut, worauf die Leute böse blickten (AU 2, 4, 5 und 25).
    Selbst an den Händen schwitzte Elijah. Eilig zog er die Handschuhe aus und ließ sie einfach auf den Boden fallen. Die Hitze wurde unerträglich. Er ignorierte die wütenden Leute um sich herum, als er sich umständlich aus seinem Mantel schälte.
    Schweiß lief ihm übers Gesicht und brannte in den Augen. Elijah keuchte, als er sein Hemd aufriss, um die schweißnasse Brust zu entblößen. Die anderen Fahrgäste wichen vor ihm zurück.
    «Was ist denn? Möchtest du dein Fläschchen?»
    Das Baby schrie hysterisch und hörte nur kurz auf, um nach Luft zu schnappen.
    Abrupt hielt der Zug an. Elijah rempelte eine alte Frau an, die vor seiner nassen, nackten Haut zurückwich. Die Leute drängten zur Tür. Elijah folgte ihnen, er wollte so schnell wie möglich raus aus diesem Zug. Er blieb kurz stehen, als er an dem schreienden Baby vorbeikam. Unter der dicken Decke und der Winterjacke mit Kapuze war nur das puterrote Gesicht des Kindes auszumachen. Es pulsierte vor rotgelbem Unbehagen.
    «Heiß», stieß Elijah hervor und deutete auf das schreiende Baby. «Ihr ist heiß.»
    Ihre Mutter starrte in Elijahs verschwitztes Gesicht, dann drückte sie das Kind fest an sich. Er sah, dass die dünne J. Lo ihn für verrückt hielt, aber dennoch nahm sie vorsichtig die Decke herunter. Elijah trat auf den Bahnsteig, als sich hinter ihm die Türen schlossen. Durch die graffitiverschmierte Glasscheibe sah er, wie die Mutter den Reißverschluss an der Winterjacke der Kleinen aufzog. Elijah seufzte vor Erleichterung.
    Als der Zug anfuhr, wurde ihm kalt. Er zog seinen Mantel über das offene Hemd und verfluchte sich dafür, dass er die Handschuhe weggeworfen hatte. Er versuchte, nicht daran zu denken, was eben geschehen war, und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Plötzlich, ohne zu wissen, warum, machte er abrupt kehrt und ging weiter in den Bahnhof hinein. Er ließ sich von der Menge durch den Tunnel unter dem Times Square schieben.
    Ein Strudel der Gefühle – glücklich traurig müde ängstlich böse gelangweilt benebelt selbstmörderisch schwindelig, alles durcheinander und alle Farben des Regenbogens. Plötzlich packte ihn quälender Hunger. Eine Sekunde später nahm Elijah den unverkennbaren Gestank von Körpergeruch und ungewaschenen Kleidern wahr.
    Das verfilzte Haar eines Obdachlosen hing unter einer löchrigen Skimütze hervor. Der Mann hatte einen fleckigen Bart, unter dem Kinn sehr dicht, aber an den Wangen nur noch stellenweise. Schmutzige, dunkle Ringe waren unter seinen Augen, die er starr auf einen Gameboy in seinen Händen richtete.
    Er saß an eine Wand gelehnt. Sein dürrer Leib verschwand unter dem alten Trenchcoat. Neben ihm lag ein Pappschild, auf das er etwas gekritzelt hatte.
     
    SIE HASSEN BUSH? Beweisen Sie es!
    Helfen Sie den Armen (also mir).
     
    Daneben stand ein großer weißer Becher mit Starbucks’ grünweißer Meerjungfrau. Er war fast randvoll mit kleinen Münzen.
    An jedem anderen Abend hätte Elijah den Obdachlosen schon im nächsten Augenblick vergessen. Heute aber konnte er den Blick nicht abwenden. Statt weiterzugehen, blieb er stehen. Ihm war etwas schwindlig, und sein Hunger wurde immer schlimmer.
    Die reine Gier erfüllte jede Faser seines Daseins, pulsierte mit jedem Herzschlag, stellte alles andere in den Schatten. Gedanken und Gefühle erstickten unter dem übermächtigen Drang, irgendetwas zu vertilgen. Elijah versuchte, sich gegen das Gefühl zu wehren, weil er wusste, dass etwas nicht stimmte. Ebenso gut hätte er versuchen können, gegen eine Flut anzuschwimmen.
    Auf der Suche nach irgendetwas, um seine Gier zu befriedigen, lief er zu einem Kiosk in der Nähe. Er drängelte sich vor, nahm ein Kit-Kat aus der Auslage, riss die Verpackung auf und stopfte sich die Schokoladenwaffel hastig in den Mund. Er kaute kaum, weil er dachte, der unsagbare Hunger würde ihn in den Wahnsinn treiben, wenn er die Schokolade nicht in der nächsten Sekunde herunterwürgen könnte.
    «Hey!», rief der schwarze Verkäufer. «Das müssen Sie bezahlen!»
    Elijah konnte nicht antworten. Er war nur noch ein ausgehungertes, wildes Tier auf Nahrungssuche. Er schlang den Riegel fast in einem Stück herunter, in der Hoffnung, den Hunger gestillt zu haben. Doch gegen die Leere in seinem Innersten konnte

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