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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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glauben, dass Gott gut und gnädig ist. Dass er über uns – seine Kinder – wacht. Und dann betrachte ich die Welt und frage mich, wie das sein kann. Würde er uns so leiden lassen, wenn er gut wäre?
    Würde er das tun?» Plötzlich sprach aus Valentinus’ Stimme bittere Verachtung. Mit funkelndem Blick wandte er sich Susan zu. «Würde er uns leiden lassen?»
    Susan hielt die Luft an, überrascht von Valentinus’ Wutausbruch.
    «Ich … ich … ich weiß nicht», stammelte Susan.
    «Und was glauben Sie?»
    Valentinus wollte, dass sie antwortete, dass sie für die Gruppe sprach. Aber sie wusste nicht, worauf er hinauswollte.
    «Es kann nicht Gutes geben ohne …»
    «Verschonen Sie mich mit Klischees aus der Sonntagsschule!», rief Valentinus. «Plappern Sie nicht die Lügen dieser Gesellschaft nach! Suchen Sie in Ihrem Innersten, Ihrem wahren Innersten und sagen Sie mir, was Sie wirklich denken!»
    Susan sank auf ihrem Stuhl in sich zusammen. Sie sehnte sich verzweifelt nach der mitfühlenden, liebevollen Umgebung, in der sie eben noch geschwelgt hatte.
    «Alles hat seinen Grund», meinte Susan und war von ihrem Talkshowspruch selbst nicht wirklich überzeugt.
    Valentinus schlug sich mit der Faust so fest in die eigene Handfläche, dass Susan zusammenzuckte.
    «Alles hat seinen Grund? Ist das Ihre Antwort?» Er deutete auf den alten, schwarzen Mann, der ihr gegenübersaß. «Glauben Sie wirklich, dass Leon aus gutem Grund verprügelt wurde?» Sein Finger wanderte zu einer rotblonden Frau. «Dass Megans Tochter aus gutem Grund gestorben ist?» Er wartete. Sein Blick war bohrend wie ein Laserstrahl. «Und dass Sie aus gutem Grund vergewaltigt wurden? Ja? Glauben Sie das?»
    Abrupt wurde sein zorniger Gesichtsausdruck zu einer Miene des Mitgefühls. Er nahm ihre Hand.
    «Hatten Sie verdient, was Ihnen angetan wurde? Ich würde wirklich gern wissen, ob Sie das glauben.»
    Plötzlich war Susan wieder siebzehn Jahre alt, auf dem Rücksitz von Dannys Volvo, unter ihm eingeklemmt, während er in sie hineinstieß, sie förmlich auseinanderriss. Sie holte tief Luft und schüttelte den Kopf.
    «Nein», flüsterte Susan. «Das habe ich nicht verdient.»
    Valentinus wandte sich dem Schwarzen zu. «Was ist mit Ihnen, Leon? Haben Sie die Grausamkeiten in Ihrem Leben verdient?»
    «Nein», sagte Leon betreten, die Hände auf seinem Schoß zu zwei Fäusten geballt.
    «Und Sie, Megan?», fragte Valentinus die rotblonde Frau. «Ist Ihre Tochter aus gutem Grund gestorben?»
    «Nein, sie war erst zwei Jahre alt. Sie hat nie etwas Unrechtes getan … sie hat es nicht … sie hat es nicht …», die Worte blieben ihr im Hals stecken. «Sie hat es nicht verdient, zu sterben.»
    «Und was war mit Gott?», fragte Valentinus.
    «Was mit Gott war?», rief Megan. «Für sie war er nicht da!»
    «Was glauben Sie, wieso das so war?»
    «Ich weiß es nicht, okay?!», schrie Megan heiser mit Tränen in den Augen. «Ich dachte nur … ich dachte nur, ich hätte etwas falsch gemacht. Denn wenn alles seinen Grund hat, dann muss es auch einen Grund geben, wieso Julie gestorben ist … weil … weil ich irgendwie was Unrechtes getan habe.»
    «Und glauben Sie das immer noch?»
    «Nein», sagte Megan trotzig.
    «Also frage ich noch einmal. Was glauben Sie: Warum hat Gott Julie sterben lassen?»
    «Weil …», sagte Megan langsam, als lauschte sie ihren eigenen Worten. «Weil es Gott nicht gibt. Oder wenn doch, dann ist er kein guter, gnädiger Gott. Er ist grausam und düster und … ungerecht.»
    Valentinus stand auf und lächelte traurig.
    «Ganz genau. Gott ist grausam. Gott ist ungerecht.»
    «Aber wieso …? Er ist Gott. Er macht keine Fehler.»
    «Gerade eben haben Sie etwas anderes gesagt», entgegnete Valentinus. «Glauben Sie an Ihre eigenen Worte?»
    «Nein. Ich meine, ja, doch. Aber ich begreife nicht, warum es so ist.»
    «Weil Sie noch immer glauben, was man Ihnen beigebracht hat.» Wie ein Tiger lief Valentinus auf und ab. «Sie alle: Wagen Sie den Sprung! Verwerfen Sie, was Sie gelernt haben, und suchen Sie in sich selbst nach einer Antwort. Nicht die Antwort, für die man Ihnen auf die Schulter klopft. Nicht die Klischee-Antwort. Sondern die wahre Antwort.»
    Alle hielten die Luft an. Alle Blicke waren auf Valentinus gerichtet. Sie brauchten ihn, er musste ihnen den rechten Weg weisen.
    «Seht nicht mich an!», sagte Valentinus. «Prüft euch selbst!»
    Susan versuchte, sich zu konzentrieren. Ihr wurde schwindlig. Sie kniff die

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