Gnosis
so nah beieinander, dass ihre Knie sich berührten.
«Halt meine Hände, sobald ich die Kette abgenommen habe!»
«Was hast du vor?»
«Ich muss Darian finden.»
«Wie denn?»
«So wie Laszlo Jill gefunden hat», sagte Elijah und fragte sich, ob er es auch wirklich schaffen würde. «Sobald ich Kontakt zu Darian habe, konzentrierst du dich darauf, ihr eine Botschaft zu schicken.»
«Aber Laszlo hat gesagt, wir können keine komplexen Gedanken übertragen. Nur Gefühle.»
«Ja», sagte Elijah. «Mach ihr einfach Angst. Dass sie nervös wird, aufmerksam. Wenn wir schon nicht rechtzeitig bei ihr sein können, müssen wir sie wenigstens warnen.»
«Okay», sagte Winter. «Ich bin bereit.»
Elijah holte tief Luft und löste den Verschluss der Kette. Er behielt sie fest in der Hand, er wagte nicht, sie loszulassen. Alles, was seit dem Diebstahl passiert war, fiel ihm wieder ein. Seine Hysterie in der U-Bahn. Stevies irrwitziger Hunger. Der Lachkrampf im Kino. Die Wahnvorstellungen in der Psychiatrie.
Er wollte nicht wieder dort hinaus, ohne Schutz gegen diese Emotionen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, wenn er an die Gefühle dachte, die nur darauf zu warten schienen, in sein Bewusstsein zu dringen. Er brachte es nicht über sich. Seine Angst war zu groß. Er …
Winter berührte seine Hand. Augenblicklich spürte er ihre Emotionen – Furcht, Unsicherheit, Zweifel, Sorge. Jede war einzigartig, doch in allen sah er einen flammend dunkelroten Schein. Nach allem, was geschehen war, rang Winter noch immer mit der Angst.
«Du schaffst das», flüsterte sie.
Elijah nickte. Und bevor er es sich anders überlegen konnte, öffnete er seine Hand und ließ die Kette los. Als sie herunterfiel, sah er die unglaublichsten Farben vor sich.
Blau. Oh, mein Gott … Winters Blau.
Da waren noch andere Farben, jede mit ganz eigener Schattierung, aber es war nicht so ein Durcheinander wie die Empfindungen einer Horde Fremder. Winters Gefühle waren rein und klar. Selbst die Flecken von türkisem Zweifel fügten sich in das sinfonische Ganze. Und in allen Farben schimmerte ein blaues Licht, freundlich, aber wild. Noch nie hatte er etwas Vergleichbares gesehen.
(Außer damals.)
Nur widerwillig wandte er sich von Winters strahlender Schönheit ab, denn er musste Darian finden. Er öffnete sich und verschlang die Farben. Es waren so viele Informationen, dass er fast den Verstand verlor – die visuelle Entsprechung einer Million Menschen, die ihm ins Ohr brüllten.
Langsam nur konnte er einzelne Personen unterscheiden. Er bekam einen kleinen Eindruck von der emotionalen Vielfalt, die in jedem Menschen auf der Welt in jeder Sekunde wirkt. Angst, mit Erregung vermischt. Entschlossenheit, von Zweifeln überschattet. Unerträgliche Melancholie, umgeben von einem hellen Hoffnungsschimmer.
Fieberhaft suchte er und gab sich Mühe, sich in dem Meer von Farben zurechtzufinden. Er verließ sich darauf, dass sein Gefühl
(die Erinnerung)
es ihn merken lassen würde, wenn er gefunden hatte, wonach er suchte.
Und dann war es so weit – vor ihm lagen ein funkelndes Bewusstsein, leuchtend in dunklem, unheilvollem Rot, pulsierend vor Kraft und Energie, ein Chaos aus widersprüchlichem Blau und Gelb, Orange und Violett.
«Ist sie das?»
Winters Frage drang durch den leuchtend bunten Raum zu Elijah.
«Ja», sagte Elijah, und seine Stimme kam wie aus weiter Ferne. «Jetzt!»
Winter drückte seine Hand, und ihre Nägel bohrten sich in seine Haut. Plötzlich blitzten wahnsinnige Angst und böse Ahnungen in Elijah auf.
Darians Bewusstsein wandelte sich augenblicklich, reflektierte Winters Emotionen für den Bruchteil einer Sekunde, dann errichtete Darian einen silbernen Schutzschild. Darian versuchte, die Projektionen abzuwehren, doch Winter drang mit Gewalt in ihr Bewusstsein.
Darian wich zurück, doch es gab kein Entrinnen vor dem Licht, das in ihr leuchtete. Dann sah das erschrockene Tier, das ihre Psyche war, ein, dass es nicht mehr fliehen konnte – und wehrte sich. Eine Art Elektroschock raste am unsichtbaren Band entlang, das zwischen Darian einerseits und Elijah und Winter andererseits bestand.
Elijah wollte sich bereitmachen, wusste jedoch nicht, wie. Dann stürzten sich die Emotionen auf ihn, Explosionen von glühendem Violett, umgeben von unfassbar dunklen Wolken aus Onyx – als würde man bei lebendigem Leib gefressen und gleichzeitig in der Luft zerfetzt.
Er schrie auf, und schon war es vorbei. Elijah blinzelte,
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