Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
Vom Netzwerk:
hatte.
    Und er tröstete sie.
     
    Winter wusste nicht, um wen sie weinte.
    Um Laszlo, der gestorben war, weil er sie retten wollte.
    Um Michael, der ihretwegen gestorben war.
    Um ihre Mutter, die mit ihrem Geheimnis gelebt hatte, bis auch sie Winters unheimlichen Kräften erlag.
    Sie weinte, weil sie daran dachte, wie sie als kleines Mädchen im Labor der Organisation gefangen gehalten wurde.
    Und sie weinte, weil sie nicht wusste, was aus ihr werden sollte, mit dieser absonderlichen Gabe und der bruchstückhaften Erinnerung.
    Mit zitternden Knien trat sie einen Schritt von Elijah zurück. Sie warf einen Blick auf den toten Killer, und es war, als müsste sie in Ohnmacht fallen. Aber sie biss auf ihre Zunge, wollte sich nicht abwenden. Mit starrem Blick auf die blutigen Hautfetzen an seinem Hals zwang sie sich, stark zu sein.
    Schließlich sah sie hinüber zu dem bewusstlosen Glatzkopf. Er hatte eine rote Beule an der Stirn, aber davon abgesehen war er unversehrt.
    «Was jetzt?», fragte sie bebend. «Rufen wir die Polizei?»
    «Nein», sagte Elijah leise. «Wir sollten ihn fesseln. Und ihm ein paar Fragen stellen.»
    «Such irgendwas, womit wir ihn fesseln können», sagte Winter. «Ich seh mir seine Taschen an.»
    Elijah nickte und ging hinüber ins Schlafzimmer. Winter kniete neben dem Mann, und jeder einzelne Horrorfilm, den sie je gesehen hatte, fiel ihr wieder ein – das junge Mädchen in Reichweite des
    (scheinbar)
    besinnungslosen Mörders. Schon immer hatte sie sich gefragt, wieso diese Frauen nicht wegliefen, jetzt wusste sie es: Manchmal konnte man einfach nicht weglaufen.
    Sie atmete tief ein und tastete ihn ab, um zu prüfen, ob er bewaffnet war. Dann rollte sie ihn auf den Bauch und befühlte Schulter, Rücken und Taille. Als sie nichts finden konnte, wusste Winter nicht, ob sie nun erleichtert sein sollte.
    Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie schrie auf.
    «Ganz ruhig, ich bin’s nur», sagte Elijah. Er deutete auf den Killer: «Meine Kette!»
    Er bückte sich und nahm dem Mann die blutverschmierte Kette ab. Und Elijahs Geist verschwand aus Winters psychischer Klangwelt. Sie starrte die Kette an.
    «Deshalb wusste Laszlo nicht, dass sie kommen.»
    Elijah legte sich die Kette um und seufzte vor Erleichterung. Einen Augenblick später hielt er das lange Elektrokabel einer Schreibtischlampe hoch. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie dem Glatzkopf die Hände gefesselt hatten. Mit dem Gürtel eines Bademantels band Elijah seine Füße zusammen. Währenddessen ging Winter ins Schlafzimmer und zog die Betten ab.
    Sie breitete eines der Laken über Laszlos Leichnam, ein anderes über die Leiche des Mannes, der ihn ermordet hatte, und das letzte schließlich über Sascha. Als sich die Tücher auf die Leichen senkten, sickerte Blut durch.
    Winter starrte die feuchten, roten Flecken an. Sie waren fast hübsch. Nur dauerte es nicht lange, bis man erkennen konnte, was die Laken verbergen sollten. Dennoch – besser als ansehen zu müssen, was darunterlag.
    Alles war besser als das.

INTERLUDIUM VI
23. MAI 2007 – 21:24 UHR (222 TAGE BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
     
     
    «Und wenn diese Wahrheit, die Sie nicht hinterfragen dürfen, nur ein Netz aus Lügen ist, mit dem verhindert werden soll, dass Sie die umfassendere Wahrheit erkennen?»
    Valentinus lehnte sich zurück und faltete die Hände unter dem Kinn.
    «Was wäre, wenn ich Ihnen sagen würde, dass der Gott des Alten Testaments kein allmächtiges Wesen war? Dass er nicht perfekt war? Dass er nicht Gott war?»
    Niemand sagte etwas. Schließlich fragte eine hübsche, junge Blondine: «Haben Sie dafür Beweise?»
    «Beweise?» Valentinus’ Stimme klang zornig. «Waren denn die Geschichten heute Abend nicht Beweis genug? Ihre eigene Geschichte? Was sehen Sie, wenn Sie Zeitung lesen oder den Fernseher anstellen?
    Ich werde Ihnen sagen, was ich sehe», knurrte Valentinus, als müsste er seinen Zorn bändigen. «Ich sehe Krieg. Krankheit. Leid. Ich sehe Mord und Totschlag im Namen der Gerechtigkeit. Ich sehe Böses.
    Das Böse zeigt sich, ergötzt sich am eigenen Schrecken. Das Böse, von Hass umhüllt, von Religion umnebelt. Böses, das sich als Liebe ausgibt, in Wahrheit aber eigennützig und voller Zorn ist.»
    Angewidert schüttelte Valentinus den Kopf. Und dann – als fiele ihm plötzlich wieder ein, wo er war – blickte er auf. Sein Gesicht war verzerrt, eine Maske von Wut und Trauer.
    «Das sehe ich. Und doch soll ich

Weitere Kostenlose Bücher