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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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gewesen, hätte ich die Sache ignoriert, aber alle fünf Schwestern sprachen mich unabhängig voneinander an. Sie fühlten sich zu dem Mädchen hingezogen. Jill ist bemerkenswert gescheit und bei den anderen Kindern beliebt, doch das war etwas anderes. Also beschloss ich, sie im Auge zu behalten.»
    «Hatten Sie das Gefühl, Jill hätte sich verändert?»
    «Ich selbst nicht, nein», sagte Pater Sullivan. «Allerdings war mir etwas aufgefallen. Wie Sie wissen, können pubertierende Mädchen ihre Gefühle nicht sehr gut verbergen und sind oft launisch. Immer ist eine guter Stimmung und eine andere nicht. Aber jedes Mal, wenn Jill dabei war, stellte ich fest, dass alle um sie herum in derselben Stimmung waren. Alle glücklich, oder alle traurig. Es war, als würden sie irgendwie gelenkt.»
    Oder verdreht.
    «Und dann – eines Abends – habe ich …», die Stimme des Priesters erstarb. Verlegen senkte er den Blick. Als er fortfuhr, sprach er schnell, als wollte er die Wörter so schnell wie möglich loswerden. «Ich habe Jill mit einer der Nonnen in romantischer Liaison erwischt.»
    Darian zog ihre Augenbrauen hoch und verbarg, wie überrascht und amüsiert sie war.
    «Ich hielt Schwester Christina – besagte Nonne – beim Arm, und einen Moment lang wurde ich geradezu von Lust verzehrt. Das Empfinden leuchtete so hell in mir, dass ich Farben sehen konnte. Doch als ich die Nonne von dem Mädchen fortriss, verflogen die Gefühle – und die Farben auch.»
    Der Priester tupfte sich die Stirn auf der winzige Schweißperlen standen.
    «Da wusste ich, dass das Mädchen unter seinem Einfluss steht.»
    «Wessen Einfluss?»
    «Des Teufels», stöhnte der Priester erleichtert, weil das Wort heraus war. «Was ich empfand, war rohe, reine Versuchung. Die Verkörperung Satans. Ich wusste, was ich tun musste.» Pater Sullivan sprach immer schneller, und Darian ahnte, dass er ein schreckliches Geheimnis gestehen würde.
    «Gemeinsam mit einem anderen Priester habe ich versucht, einen Exorzismus durchzuführen, aber ohne Erfolg. Zwar konnte das Ungeheuer keine Kontrolle über mich erlangen, doch über meinen Glaubensbruder. Glücklicherweise gelang es mir, ihn aus dem Würgegriff des Monstrums zu befreien. Das war vor fast zwei Monaten. Seither habe ich viele Male mit dem Mädchen gebetet. Ich habe ihm geraten, Christus zu empfangen und den Dämon auszutreiben, bisher jedoch ohne Erfolg.»
    «Auf Sie hat sie keinen Einfluss nehmen können wie auf die anderen?»
    «Nein», sagte der Priester und fingerte nervös an dem silbernen Kreuz an seinem Hals herum. «Ich scheine resistent zu sein.»
    «Was meinen Sie, woran das liegt, Pater?»
    «An meinem Glauben», antwortete der Priester, ohne zu zögern. «Die anderen Mitglieder meines Sprengels sind fromm, aber … nun, ich möchte mich nur ungern vergleichen, aber … Sie verstehen.»
    «Natürlich», sagte Darian und lachte im Stillen darüber, dass der Priester sich offenbar für überlegen hielt.
    Plötzlich stutzte sie. Was wäre, wenn an dem, was er sagte, etwas dran war? Konnte sein Glaube ihn tatsächlich schützen? Wenn das der Fall sein sollte, war Jills Gabe – wie Darians dann auch – dämonischer Natur. Das war doch lächerlich … oder?
    Darian schob den Gedanken schnell beiseite und sagte: «Wo ist Jill jetzt, Pater?»
    «Im Keller, eingesperrt in einen Lagerraum. Ehrlich gesagt, bin ich mit meiner Weisheit am Ende. Alle meine Versuche sind gescheitert, und ich kann nicht das Risiko eingehen, eine Menschenseele mit dorthin zu bringen, weil ich fürchte, dass das Ungeheuer wieder zuschlägt und ich seine Macht nicht mehr aufhalten kann.»
    Darian projizierte seidig weiche Demut und schwammige Hoffnung. «Ich glaube, ich kann Ihnen helfen.»
     
    Sobald der Priester die stahlverstärkte Tür geöffnet hatte, erschreckte Darian, so deutlich spürte sie das kalte Elend und die Qualen des Mädchens. Modrige Kellerluft drang in ihre Lungen, und sie hustete heftig.
    «Kann ich Ihnen helfen?», fragte der Priester.
    Darian schloss die Augen und wartete, dass die Übelkeit vorüberging. Sie schluckte und schüttelte den Kopf.
    «Es geht schon», flüsterte sie und hielt sich am Geländer fest.
    «Sie spüren es auch, nicht wahr?», fragte Pater Sullivan.
    «Ja», sagte sie kaum hörbar.
    «Die anderen, die hier hinunterkommen, sagen auch, dass sie ein merkwürdiges Gefühl überkommt. Ich bin der Einzige, der es erträgt. Aber auch ich kann das Böse spüren.» Er sah Darian an.

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