Gnosis
sie durchströmten. In seinem Gebet gab es keine Ausflüchte. Die Gefühle waren groß und stark. Darian ließ sich von Pater Sullivans wogenden Empfindungen – Dankbarkeit, Entschlossenheit, Hoffnung und Hingabe – treiben, bis er schließlich fertig war.
Sie versuchte, sich die Gelassenheit des Priesters zu bewahren, und ließ seine Hand los. Sein Geist zog sich in die Dunkelheit zurück, und Darian war wieder mit Jills Wut und Verzweiflung allein. Pater Sullivan hielt ihr den Schlüsselring hin, zog ihn jedoch zurück, bevor Darian danach greifen konnte.
«Sie müssen mir versprechen, dass niemand erfährt, was hier unten geschehen ist», sagte der Priester. «Die Menschen … die Menschen würden es nicht verstehen.»
«Ich gebe Ihnen mein Wort.»
«Hier», sagte er und reichte ihr den Ring. «Ich möchte nicht dabei sein, wenn Sie sie mitnehmen.» Darian schloss ihre Hand um die klirrenden Schlüssel. «Lassen Sie den Schlüssel stecken, wenn Sie gehen. Nehmen Sie den Hinterausgang. Gott stehe Ihnen bei.»
Ohne ein weiteres Wort bekreuzigte sich Pater Sullivan und eilte die Treppe hinauf. Darian drehte sich um und sah zu Jills Zelle hinüber. Sie kam sich vor wie ein Kind, das unter dem Bett nachsehen wollte, ob da Monster wären. Allerdings wusste sie genau, dass das Monster echt war.
Am liebsten hätte Darian das Mädchen bewusstlos geschlagen, zumindest bis sie im Labor waren. Nie hätte sie gedacht, dass andere Empathiker ihr gefährlich werden könnten, vor allem nicht ein kleines Mädchen.
Kopfschüttelnd rang Darian ihre Ängste nieder und näherte sich Jills aufgewühltem Geist. Draußen vor der Tür hob sie den klimpernden Schlüsselbund an. Sofort spürte sie die Freude des Mädchens in der Zelle. Während Darian einen Schlüssel nach dem anderen ausprobierte, wurde das Mädchen immer aufgeregter. Endlich fand Darian den richtigen. Er passte ins Schloss, und Jills Gefühle rissen Darian förmlich mit. Sie stellte sich einen lauernden Tiger vor, zum Sprung bereit.
Sie nahm allen Mut zusammen und öffnete die Tür. Das Mädchen verrenkte sich fast den Hals, um zu sehen, ob hinter Darian noch jemand stand.
«Er ist weg», sagte Darian.
Eine Woge der Erleichterung, dann sah sie Darian argwöhnisch an.
«Wer sind Sie?», fragte Jill.
«Ich bin wie du.»
Jill trat einen Schritt zurück. Das schmutzige Gesicht wurde immer bleicher. «Sie meinen, Sie sind … besessen?»
Unwillkürlich prustete Darian los. Sie beherrschte sich sofort wieder, doch das Mädchen war gekränkt. Jills Miene verfinsterte sich, und trotzig hob sie das Kinn. Um ihr Lächeln zu verbergen, hielt Darian sich eine Hand vor den Mund.
«Tut mir leid. Ich wollte nicht lachen.»
«Aber Sie haben gelacht.»
«Weil das, was du gesagt hast, in meinen Ohren komisch klang», sagte Darian. Sie hatte sich etwas beruhigt. Jill war stark, aber eben doch nur ein Kind. Darian betrat die Zelle. Sie rümpfte die Nase, weil es beißend stank, und ging nur langsam auf das Mädchen zu.
«Was wollen Sie von mir?», fragte Jill.
«Zuallererst will ich dich hier rausholen.»
Jill schwieg einen Moment, dann fing sie an zu schluchzen. Noch bevor die erste Träne über ihre Wange lief, fühlte sich Darian, als hätte man ihr einen Hammer gegen den Schädel geschlagen. Ihre Augen brannten, und sie hatte einen Kloß im Hals. Sie sog Luft in ihre Lungen und tat alles, um sich abzuschotten, doch die freudlose Erleichterung des Mädchens war derart intensiv, dass Darian sie dennoch spürte.
Darian konzentrierte sich und rief sich eine Reihe glücklicher Momente ins Gedächtnis: ihr sechster Geburtstag, der letzte, bevor ihr Dad wegging … das Geldzählen nach ihrer ersten Nacht als Stripperin im Emerald … der Sex mit ihrem ersten Freund … Dietrichs Testpersonen in der Weise zu manipulieren, dass sie sich vollpinkelten.
Eine schöne Erinnerung nach der anderen. Sie konzentrierte sich auf die Gefühle, die sie dabei empfand, und übertrug sie auf das weinende Kind. Langsam ließ der Druck in Darians Schädel nach, als sie die Trauer des Mädchens niederrang.
Dieser gewaltige psychische Austausch dauerte keine Minute, doch war Darian danach schweißgebadet. Seufzend atmete sie aus. Die Trauer des Mädchens war verflogen.
Jill stand vor ihr, leicht schwankend, als wäre sie betrunken. Sie lächelte schüchtern. Darian schüttelte sich kurz, ein wenig beunruhigt von der gespenstischen Freude dieses Mädchens. Dann verdrängte sie ihre Furcht
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