Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)
einen mageren Jungvogel. Sie trug eine mit kleinen goldenen Bienen verzierte scharlachrote Tunika und machte ein böses Gesicht. Sie stapfte wütend über die Kiesel und schien dabei unentwegt ihre Mutter zu beschimpfen.
Mit einem Ausruf und einer raschen Handbewegung brachte die Priesterin das Mädchen zum Schweigen. Vor Wut schäumend und mit hochgezogenen Schultern blieb es stehen. Ihre Mutter drehte sich abweisend zum Meer um. Die Tochter war ihr unterlegen.
Ein junger Mann – vermutlich ein Sklave – ging zu dem Mädchen und nahm seinen Arm, aber es schüttelte ihn unwillig ab. Der junge Mann sah nicht wie ein Keftiu aus, Hylas hätte jedoch nicht sagen können, woher er stammte. Seine Haut war rötlich braun, die Augen hatte er schwarz ummalt. Er trug einen Schurz aus ungebleichtem Leinen und war bartlos. Noch seltsamer war sein glatt rasierter Schädel.
Er berührte erneut den Arm des Mädchens und deutete auffordernd auf das Zelt. Der Kampfgeist des Mädchens war offenbar erloschen, denn es folgte ihm.
Inzwischen hatte der Wein seine Wirkung getan, der Lärm im Lager schwoll an. Die Männer schwankten in die Pinienwälder und wieder zurück zum Feuer. Als der Mond aufging, kehrte allmählich Ruhe ein, Dunkelheit senkte sich über die Zelte. Nur ein einziger Wachposten blieb an der Feuerstelle zurück, und es dauerte nicht lange, bis er ebenfalls zu schnarchen anfing.
Hylas hielt den Atem an, während er an den Zelten vorbeischlich und hinter einem großen Findling, ein paar Schritte vom Feuer entfernt, in Deckung ging. Nun kam der gefährlichste Teil: der Kieselstrand. Wenn nur der Mond nicht so hell scheinen würde!
Gerade als er den ersten Schritt machen wollte, schlüpfte eine schattenhafte Gestalt aus dem Zelt der Priesterin und schlich in seine Richtung. Überrascht erkannte er die Tochter der Priesterin.
Geh weg, fauchte er lautlos.
Sein Herz stand beinahe still, als sie so dicht an ihm vorüberhuschte, dass er das leise Klirren ihrer Armreifen vernahm. Sie hatte ihn nicht bemerkt. Am Feuer blieb sie stehen und blickte mit verdrossener Miene in die Glut. Sie hatte die Fäuste geballt und ihr Körper war angespannt wie eine Bogensehne.
Warum blickt sie nur so finster drein?, rätselte Hylas. Irgendwo in den Bergen kämpfte Issi ums Überleben, und dieses reiche Mädchen hier besaß alles: Sklaven, warme Kleidung, so viel Fleisch, wie sie essen konnte. Was wollte sie denn noch?
Unversehens klaubte das Mädchen einen Zweig aus dem Feuer und blies auf die Spitze, bis sie rot glühte. Sie starrte wie hypnotisiert auf die Glut und atmete so schwer, dass ihr magerer Brustkorb sich hob und senkte. Hylas bemerkte, dass der Goldschmuck auf ihrer Tunika keine Bienen, sondern kleine Doppeläxte darstellte. Sie starrte immer noch auf den glühenden Zweig. War sie vielleicht nicht ganz richtig im Kopf?
Plötzlich holte sie tief Luft – und presste die Glut an ihre Wange.
Dann warf sie den Zweig mit einem Aufschrei auf den Boden, und Hylas zuckte unwillkürlich zusammen. In diesem Moment entdeckte sie ihn und riss die Augen auf. Ihr zweiter Schrei holte den Wachposten aus dem Schlaf, der Hylas ebenfalls sah und Alarm schlug. Sofort stürmten Besatzungsmitglieder aus den Zelten.
Doch viel schlimmer war, dass zu ihrer Verstärkung nun Krieger aus dem Schatten der Bäume traten. Krähen.
Entsetzt begriff Hylas, dass sich im Wald ein ganzes Lager befinden musste, von dem er nichts geahnt hatte.
Der erste Krieger hatte den Strand erreicht und erspähte Hylas sofort. Er schrie: »Da ist einer von ihnen!«
Ohne weiter nachzudenken, stürmte Hylas an dem Mädchen vorbei und warf sich ins Wasser.
Er ging unter, tauchte prustend auf und vernahm aufgeregtes Rufen, knirschenden Kies und eilige Schritte. Sein Vorratsbeutel und der Trinkschlauch zogen ihn in die Tiefe, er schüttelte beides ab. Pfeile zischten an ihm vorbei. Er tauchte und schwamm dorthin, wo er im Dunkeln das Boot vermutete. Nach einer Weile stieß er gegen etwas Hölzernes. Er hievte sich ins Boot, löste die Leine, nahm die Ruder und ruderte ungeschickt in die Bucht hinaus. Ein Holzboot war längst nicht so wendig und leicht wie eines aus Weidenruten. Es buckelte in den Wellen wie ein störrischer Esel.
Mit einem raschen Blick über die Schulter erkannte er, dass die Männer ein weiteres Boot ins Wasser schoben. Woher kam das plötzlich? Schon sprangen sie hinein und legten sich in die Riemen. Im Bug ging ein Schütze mit gespanntem Bogen in
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