Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)
die Läuse durch deine Hütte, das kennst du doch bestimmt. Wie wird man die Plagegeister los? Man wirft Wermutkraut ins Feuer und räuchert sie aus.« Er blies das Kienholz an, trat zurück und überließ dem Wind die restliche Arbeit. »Übrigens auch ein wirksames Mittel gegen Flöhe.«
Im Nu waberten schwarze Rauchschwaden den Hang hinauf, und schon bald bekam Hylas keine Luft mehr. Hustend und würgend krabbelte er panisch aus seinem Versteck, verlor das Gleichgewicht und kollerte Hals über Kopf den Hang hinunter.
Blitzschnell war der Fremde zur Stelle und zerrte ihn vollends hinab. Dann warf er ihn bäuchlings auf den Boden und bohrte ihm die Messerspitze unters Kinn. »Wo sind die anderen?«, knurrte er.
»Wer?«, keuchte Hylas.
»Die Söhne des Koronos! Los, raus mit der Sprache! Und keine Lügen!«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
Ehe Hylas es sich versah, hatte ihn der Fremde mit seinem eigenen Gürtel gefesselt. Dann zog er ihn mit einem Ruck auf die Beine und packte ihn derart fest am Hals, dass Hylas kaum noch Luft bekam. »Wo sind die Krähen?«, wiederholte er. »Du musst es wissen, du bist ihr Spion.«
»Nein!«
»Lass dir was Besseres einfallen, sonst ist es mit dir vorbei, sobald der Zweig dort verbrannt ist.«
»Ich bin kein Spion, das schwöre ich.«
Der Fremde drehte ihn zu sich, schob ihn auf Armeslänge von sich und betrachtete ihn. Sein Gesicht war kantig und vom Wind gegerbt. Der dunkle, scharf konturierte Bart war salzverkrustet und die tief liegenden Augen leuchteten eigenartig hell, als wären sie vom jahrelangen, suchenden Schauen in die Ferne ausgebleicht. Der Fremde musterte ihn so mitfühlend wie der Luchs seine Beute.
»Wenn du kein Spion bist«, blaffte er nach einer Weile. »Was hast du dann hier verloren?«
»Ich bin auf der Flucht vor den Krähen.«
Der Fremde sah Hylas durchdringend an, als wollte er auf den Grund seiner Seele schauen. »Du bist schlau«, erklärte er. »Vergiss aber nicht, dass ich noch schlauer bin.«
Hylas schluckte. »Ich bin schlau genug, um das zu verstehen.«
Die Linien um den Mund des Fremden vertieften sich, fast schien es, als würde er lächeln. »Wie alt bist du, Floh?«
»Ähmm, zwölf.«
»Zwölf.« Für einen Augenblick wirkte er mitleidig. »Ist das möglich? Dann bin ich länger auf der Flucht, als du am Leben bist.«
»Auf der Flucht vor den Krähen?«
»Vor denen und vor anderen Dingen.« Seine Augen nahmen einen gehetzten Ausdruck an. »Zurück zu dir, Floh. Was weißt du über die Krähen?«
Hylas holte Luft. »Wir haben in den Bergen Ziegen gehütet und sie haben uns angegriffen, mich und Issi, meine Schwester. Wir wurden voneinander getrennt, sie haben Skiros getötet, der war auch ein Fremdling. Thestor, der Stammesfürst, hat die Krähen in sein Gebiet gelassen. Ich weiß nicht, warum. Ich bin geflohen und hier gelandet. Das ist alles.« Das Letzte war gelogen. Er hatte wohlweislich die Keftiu nicht erwähnt, um die Sprache nicht auf Pirra zu bringen. Hoffentlich hatte der Fremde sie inzwischen vergessen.
»Wie viele waren bei dem Angriff dabei? Wie haben sie ausgesehen?«
Hylas beschrieb die Männer, so gut er konnte. »W-wer ist ihr Anführer?«, fragte er dann stammelnd.
»Er heißt Kratos. Kratos, Sohn des Koronos«, stieß der Fremde grimmig hervor.
»Was ist Koronos?«
»Nicht was, sondern wer. Koronos heißt der Führer des Clans, der über Mykene herrscht. Früher hat man diese Männer geehrt und respektiert, aber dann haben Macht und Gier sie trunken gemacht und sie nahmen sich, was ihnen nicht gehörte. Die Leute nennen sie seitdem aus Furcht die Krähen .« Er hielt inne. »Für einen Gefangenen stellst du viele Fragen. Jetzt will ich dir eine stellen. Warum verfolgt Kratos dich?«
»Das weiß ich nicht. Er verfolgt alle Fremdlinge. Vielleicht bin ich der letzte Überlebende, zusammen mit Issi.«
Der Fremde schwieg, und Hylas spürte regelrecht, wie sein wacher Verstand verblüffend schnell alles Gehörte abwog. Er fasste sich ein Herz und fragte: »Bist du – bist du ein Gott?«
Die Linien um den Mund des Mannes vertieften sich erneut. »Vielleicht. Woran könntest du das erkennen?«
»Dein Schatten würde brennen.«
»Richtig. Wenn ich ein Gott wäre, könnte ich dir allerdings auch vorgaukeln, dass es nicht so wäre.« Seine Stimme klang wieder sanft, aber die Kraft dahinter war unverkennbar. Dieser Mann konnte einen dazu bringen, dass man Feuer für Wasser hielt.
»Bist du ein
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