Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
gefesselten Hylas nieder. »Auch ich habe mir die Frage gestellt, warum Kratos sich die Mühe macht, Fremdlinge zu verfolgen. Eine Schlange, die sich bedroht fühlt, beißt zu. Was meinst du dazu, Floh? Aus welchem Grund sollten sich die mächtigen Herrscher von Mykene von einem schmächtigen, kleinen Fremdling bedroht fühlen?«
    »Keine Ahnung«, gab Hylas zurück.
    »Ich sage es dir. Um eine Gefahr für die Krähen zu sein, muss man ihnen das nehmen, was sie mächtig macht. Weißt du, was das ist?«
    Hylas schüttelte erneut den Kopf.
    »Die Macht der Krähen hängt von einem Dolch ab.« Er musterte Hylas prüfend. »Sonderbar, nicht wahr? Weder ein Alabasterbecher noch eine Goldkette, sondern nur ein schlichter Dolch aus Bronze, mit drei Nieten und einem einfachen Zeichen am Griff: ein Wagenrad, das ihre Feinde zermalmt. Mit diesem Dolch sind sie unbesiegbar, ohne ihn nicht.«
    Hylas hoffte, dass ihm seine Aufregung nicht anzusehen war. Er dachte an das Grabhaus, wo ihn der sterbende Keftiu gedrängt hatte, den Dolch zu nehmen. Ich habe ihn gestohlen. Er ist kostbar, du musst ihn verstecken.
    »W-wie kann das sein?«, stammelte er. »Wie kann ein Dolch ihre Macht begründen?«
    Den Blick fest auf ihn gerichtet, erwiderte der Fremde: »Der erste Herrscher aus dem Geschlecht des Koronos schlug eine gewaltige Schlacht gegen seine Feinde. Er besiegte den Anführer, indem er dessen Helm und Schädel mit einem gewaltigen Hieb spaltete. Aus diesem Helm ließ er einen Dolch schmieden und tränkte die glühende Bronze mit dem Blut seiner eigenen Wunden. Anschließend brachte er dem Himmelsvater sieben Stiere zum Opfer und flehte darum, den Dolch mit der Macht seines Clans zu erfüllen – und ihnen die Stärke und Widerstandskraft von Bronze zu verleihen. Zum Zeichen, dass ihr Gebet erhört worden war, sandte der Himmelsvater einen Adler. Solange das Geschlecht des Koronos diesen Dolch besitzt, ist es unbesiegbar.«
    Der Blick des Fremden durchbohrte Hylas förmlich. »Das gewaltige Brandopfer im Tal sagt mir, dass die Krähen den Dolch verloren haben. Deswegen sind sie auf diese Insel gekommen und haben das Opfer gebracht. Sie bitten die Götter darum, ihnen den Dolch zurückzugeben.«
    Bis auf das leise Murmeln der Quelle war alles still.
    Unversehens beugte sich der Fremde dicht zu ihm. »Sind sie aus diesem Grund hinter den Fremdlingen her, Floh? Hat ein Fremdling ihren Dolch gestohlen? Bist du das womöglich selbst gewesen?«
    Hylas sah ihn an. »Ich habe den Dolch nicht gestohlen, das schwöre ich beim Leben meiner Schwester.«
    »Aber du weißt etwas darüber.«
    »Ja.«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wie kommt es, dass du überhaupt davon gehört hast?«
    »Ich weiß nur das, was du mir gerade erzählt hast.«
    »Wann hast du den Dolch zuletzt gesehen?«
    Hylas zögerte. »Vor einigen Tagen. Er ist ins Meer gefallen und für immer verloren …« Er versuchte vergebens, den Blick abzuwenden, und der Fremde spürte, dass Hylas log.
    »Hat deine Begleiterin diesen Dolch? Ich habe ihre Spuren auf der Lichtung entdeckt.«
    »N-nein«, stotterte Hylas. »Ich weiß wirklich nicht, wo er ist. Das ist die Wahrheit!«
    Der Fremde musterte ihn prüfend, bevor er sagte: »Seltsamerweise glaube ich dir. Wir tappen also beide im Dunkeln.«
    Er machte ein paar Schritte und schien über etwas Unerfreuliches nachzudenken. Dann straffte er die Schultern und warf Hylas einen flüchtigen, mitfühlenden Blick zu. »Tut mir leid, Floh«, sagte er. »Warum musstest du mich zu diesem Schreckensort führen?«
    Hylas schluckte mit trockenem Mund. »Was soll das heißen? Was hast du vor?«
    Der Fremde schulterte den Trinkschlauch, band Hylas los und zog ihn auf die Füße. »Los, komm«, murmelte er. »Bringen wir’s hinter uns.«
    Schon bald ragten vor ihnen die düsteren Zypressen in der Dunkelheit auf.
    »Nein«, sagte Hylas, »das ist der verkehrte Weg.«
    Der Fremde gab keine Antwort.
    Die einsame Pappel in der Mitte der Schlucht glich einem Wächter. Der Fremde klemmte die Fackel in eine Astkrümmung und befahl Hylas, sich an den Baum zu setzen. Er fesselte ihn an den Stamm und blickte ein ums andere Mal zum dunkler werdenden Himmel.
    Hylas’ Zähne klapperten. »Was hast du vor?«
    Der Fremde schnitt sich eine Haarsträhne ab und band sie Hylas um den Hals. Er nahm ein Stück Holzkohle, hielt Hylas fest und malte ihm Zeichen auf Stirn und Brust.
    »Ich finde das abscheulich, Floh«, sagte er heftig. »Einem Kind

Weitere Kostenlose Bücher