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Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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dieses Zittern je aufhörte? Die Flucht durch die Schlucht und die Angst, die Erzürnten könnten die Täuschung bemerken und ihnen folgen, war schlimm genug gewesen. Zuerst schien es, als wären sie in eine Sackgasse geraten, denn die Schlucht war an einem Berg plötzlich zu Ende. Dann hatten sich die Wolken verzogen und im Sternenlicht hatte Hylas einen schmalen Hohlweg entdeckt, der nach Westen führte. Nach einer langen Kletterpartie hatte der Weg sich erweitert, und sie konnten das Meer in der Ferne sehen. In der Stille des morgendlichen Zwielichts hatte es wie eine matt glänzende Silberscheibe ausgesehen.
    Bei Sonnenaufgang fanden sie unter einem Dornenbusch Zuflucht und teilten sich das restliche Wasser im Trinkschlauch, den Pirra wunderbarerweise noch bei sich hatte.
    »Wir müssen weiter«, sagte Pirra und holte Hylas in die Wirklichkeit zurück.
    »Geh schon voraus, ich komme gleich nach.«
    Sie verstand, dass er allein sein wollte, und marschierte los.
    Benommen sah er den Bienen zu, die geschäftig um die purpurroten Thymianblüten summten, während Schwebefliegen die Disteln umkreisten. Diese friedliche Idylle kam ihm so unwirklich vor. Wie konnte das alles existieren, wenn es zugleich Sie gab? Wohin verschwand die Dunkelheit, wenn es tagte? Wo mochten die Erzürnten jetzt sein?
    Er spürte Sie immer noch, als hätten Sie in seinem Geist einen dunklen Abdruck hinterlassen. Hylas dachte an den gehetzten Ausdruck auf Akastos’ Gesicht. Ich bin länger auf der Flucht, als du am Leben bist .
    Hylas sehnte sich plötzlich nach Filos. Er wollte mit ihm durch das schimmernde Meer tauchen und die dunklen Gedanken vertreiben. Filos würde ihn auch ohne Worte verstehen.
    Dann sah er Pirra eilig die Böschung heraufkrabbeln und erhob sich mit ungutem Gefühl.
    »Duck dich!«, flüsterte sie.
    »Was ist denn los?«
    »Ein Schiff ist in der Bucht angekommen, sie gehen gerade an Land. Ich glaube, es sind Krähen.«
    Hylas’ Gedanken überschlugen sich. »Wo genau hat das Schiff angelegt?«
    »Sag ich doch, in der Bucht.«
    »Aber wo genau dort?«
    Sie deutete in Richtung Süden.
    »Immerhin. Unser Lager liegt im Norden, dann müssen wir zumindest nicht an ihnen vorbei.«
    Sie machten sich gemeinsam an den Abstieg.
    Plötzlich zog Pirra ihn hinter einen Felsblock. »Dort drüben!«, flüsterte sie.
    In etwa hundert Schritten Entfernung hatten die Ankömmlinge das Schiff im Süden der Bucht an den Kiesstrand gezogen.
    Hylas sah die eingerollten Segel, braunrot wie getrocknetes Blut. Die Männer, die an Land sprangen, trugen schwarze Umhänge und Helme aus Eberstoßzähnen. Die Bronzerüstung des Anführers schimmerte. Hylas sah die Gesichter der Männer.
    Ungläubig blinzelnd blickte er erneut hinüber.
    Ihm wurde schwindlig, in seinen Ohren rauschte es, als stürze er in einen bodenlosen Abgrund.
    Einer der Ankömmlinge war Telamon.

D ie Krähen marschierten direkt unter ihrem Versteck vorbei. Pirra zählte fünf Männer und einen Jungen. Alle trugen Bronzedolche an den Gürteln.
    Sie liefen zielstrebig und mit gesenkten Köpfen voran. Nach einer Weile begriff Pirra, dass sie nicht nach Spuren suchten, sondern Treibholz sammelten. Sie atmete erleichtert aus.
    Hylas war wie erstarrt. »Dort ist Telamon«, flüsterte er schließlich mit rauer Stimme.
    »Was?«
    »Telamon. Er gehört zu den Krähen.«
    Sie blickte hinter den Männern her, die sich langsam entfernten. Diesen Jungen hatte sie heiraten sollen.
    »Eine Krähe«, wiederholte Hylas mechanisch. »Telamon gehört zu den Krähen.«
    Pirra blickte ihn erstaunt an. »Natürlich, er gehört doch zum Geschlecht des Koronos. Los, wir müssen weiter. Glaubst du, wir können über die Landzunge dort drüben entkommen?«
    »Wieso hast du mir das nicht gesagt?«, fragte er mit leiser Stimme.
    »Was meinst du?«
    »Warum hast du mir nicht gesagt, dass er zu den Krähen gehört?«
    »Hylas – wir müssen schleunigst von hier weg.«
    »Wieso hast du es mir nicht gesagt?«
    Beim Klang seiner Stimme horchte sie auf. Sein mit Asche und Schmutz bedecktes Gesicht war grau geworden, und die braunen Augen sahen beinahe schwarz aus.
    Im Großen Innenhof des Tempels der Göttin hatte sie gesehen, wie ein Stierspringer von den Hörnern eines Bullen aufgespießt und in die Höhe geschleudert worden war. Man hatte ihn zwar lebend davongetragen, aber er hatte ebenso grau und entsetzt ausgesehen wie Hylas.
    »Warum?«, wiederholte er.
    »Weil ich gedacht habe, du weißt Bescheid! Komm
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