Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
gehalten, damit niemand davon erfährt.« Sie schnappte plötzlich aufgeregt nach Luft. »Jetzt fällt es mir ein, deswegen haben sie bestimmt das Orakel befragt.«
    »Welches Orakel?«
    »Bei unserer Ankunft in Lykonien hieß es, Thestor und Kratos wären aufgebrochen, um das Orakel zu befragen. Vielleicht hat die Antwort darauf schließen lassen, dass Fremdlinge den Dolch geraubt haben.«
    »Ich habe ihn nicht gestohlen!«
    »Das weiß ich. Trotzdem ist er irgendwie in deine Hände gelangt, alles andere zählt nicht. Wenn das Orakel auf Fremdlinge hingewiesen hat, wusste Kratos zu diesem Zeitpunkt vielleicht, dass du der einzige überlebende Fremdling in Lykonien bist und daher im Besitz des Dolches sein musst.«
    »Ich war niemals auch nur in der Nähe von Mykene.«
    »Der Dieb – also der Mann im Grabhaus – hat den Dolch von Mykene nach Lykonien gebracht und ihn anschließend dir gegeben. Das läuft auf dasselbe hinaus.«
    Hylas hielt den Dolch hoch. Kein Stäubchen haftete an der vollendet geformten Klinge.
    Er hatte diese Waffe für einen Freund gehalten. Sie hatte ihm bei seinem Schiffbruch beigestanden, sich an der Planke verfangen und dadurch verhindert, dass er ertrank. Nun erkannte er seinen Irrtum. Der Dolch hatte damit nicht Hylas, sondern nur sich selbst geholfen. Dieser Dolch war mitnichten sein Freund.
    Er legte die Waffe auf den Boden und wischte sich die Hände ab. »Ich muss den Dolch loswerden. Ich werfe ihn ins Meer, damit er ganz bestimmt nie mehr in die Hände der Krähen fällt.«
    Pirra runzelte die Stirn. »So einfach ist das nicht. Dieser Dolch kann nämlich sehr gut für sich selbst sorgen.«
    Hylas blickte sie fragend an.
    »In der Höhle, als die Schlange dich beißen wollte, ist er in der Hülle stecken geblieben, und deswegen hast du dich nicht verteidigen können. Vielleicht hat es der Dolch sogar darauf abgesehen gehabt, dass du gebissen wirst, damit er entkommen kann. An dem Hang in der Schlucht hat er sich aus deinem Gürtel gelöst, kurz bevor Akastos dich gefangen hat. Vielleicht wollte er Akastos nicht in die Hände geraten. Wenn du den Dolch ins Meer wirfst, wird er zu den Krähen zurückfinden.«
    Trotz der Hitze überlief Hylas ein Frösteln. Sonnenlicht schimmerte auf der Klinge, und er hatte plötzlich das unheilvolle Gefühl, dass der Dolch jedes Wort verstand.
    »Wahrscheinlich hat Kratos den Raub der Waffe sogar vor seinen eigenen Leuten geheim gehalten«, erklärte Pirra.
    »Warum denn?«
    »Der Verlust des Dolchs könnte als Zeichen von Schwäche gelten, und wer die Macht behalten will, darf niemals welche zeigen. Vielleicht hat er nur seine Familienangehörigen, also Thestor und Telamon, eingeweiht.«
    Hylas riss die Augen auf. » Telamon? Soll das etwa heißen, er ist mit diesem Kratos verwandt?«
    Sie nickte. »Thestor und Kratos sind Söhne des Koronos, der über Mykene herrscht. Telamon ist damit sein Enkel und Kratos Neffe. Deswegen gehört er seit jeher zu den Krähen. Hylas – du bist ja ganz blass!«
    Plötzlich war Hylas wieder in den Bergen, klammerte sich an einen Sims unter dem Felsvorsprung, während ein Ungeheuer in Schwarz und Bronze knapp über ihm hinweg ins Tal spähte. Die muskulöse Hand des Mannes war mit Asche bedeckt. Durch die schmalen Augenschlitze suchte der Krieger die Hänge ab, hielt Ausschau nach ihm …
    Kratos hatte Scram auf dem Gewissen. Seinetwegen irrte Issi verloren umher. Kratos, Sohn des Koronos, und Telamons Onkel.
    »Hylas?!«
    »Lass mich in Ruhe!«, schrie er. »Lass mich doch einfach in Ruhe.«
    Dann stürzte er davon.
    Sie heißen auch nicht Krähen, sondern sind ein mächtiger Clan: das Geschlecht des Koronos … mein Vater ist nicht mit ihnen verfeindet … Als Führer der Lykonier kann er sich seine Verbündeten nicht immer aussuchen.
    Telamon hatte zwar die Wahrheit gesagt – aber nicht die ganze Wahrheit.
    Er hatte das Wichtigste verschwiegen, und das kam einer Lüge gleich.
    Unablässig kreisten Fragen in Hylas’ Kopf. Warum hatte ihm Telamon überhaupt bei der Flucht geholfen? Er hatte den Wagen seines Vaters gestohlen, kein kleines Vergehen, und ihm Vorräte gebracht. Aus welchem Grund hatte er das getan?
    Ohne es zu merken, hatte Hylas den Waldsaum an der Küste erreicht. Flach und unbewegt lag das Meer unter dem bleiernen gelben Himmel. Das Gleißen der hellen Kiesel war beinahe schmerzhaft.
    Bisher hatte er immer geglaubt, er könne Telamon eines Tages von seinen Abenteuern berichten. Plötzlich gab es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher