Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Die haben Sie mir schon früher gezeigt. Also muss es die Seuche sein.«
Der Älteste hebt den Kopf und sieht mich wutentbrannt an. »Darüber habe ich schon lange Zeit nicht mehr gesprochen.«
Ich halte den Atem an. »Der Junior vor mir?« Der Älteste nickt. »Ist er gestorben? Oder haben Sie …?« Ich bringe es nicht über die Lippen, die Frage auszusprechen.
»Du willst etwas über die Seuche wissen?«, fragt der Älteste eisig. »Schön. Dann werde ich dir davon erzählen.«
Er springt auf und verlagert hastig sein Gewicht auf das gesunde Bein. Mit beiden Fäusten auf dem Tisch beugt er sich über mich, und mir bleibt nichts anderes übrig, als erwartungsvoll zu ihm aufzuschauen.
»Lass uns damit anfangen«, beginnt der Älteste, »dass es nie eine Seuche gab.«
61
Amy
Nachdem mich Junior im Archiv zurückgelassen hat, stehe ich dort allein im Halbdunkeln herum. Ich verstehe nicht, wieso Junior mit dem Ältesten gegangen ist – ich vertraue Junior, aber nicht dem Ältesten, und ich war der Meinung, dass Junior genauso denkt.
Und noch dazu kommt diese unterschwellige Angst um meine Eltern, der Drang, den Mörder zu finden und sie zu beschützen. Eine Welle der Angst bricht über mir zusammen. Meine Beinmuskeln zittern, aber ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass meine Beine losrennen wollen, oder ob sie gleich unter mir zusammenklappen werden.
»Amy?«
Nur mit Mühe unterdrücke ich einen Aufschrei.
»Ich bin es, Orion«, sagt er und taucht hinter dem Modell der Erde auf.
»Wo waren Sie vorhin?«, frage ich. »Ich dachte, ich hätte Sie gesehen.«
Orion lächelt verlegen. »Ich habe mir nur zum Spaß die Dra-Kom-Ortungskarte angesehen und gemerkt, dass der Älteste in der Nähe war. Und wir … wir kommen nicht gut miteinander aus. Da dachte ich, es wäre klüger, wenn ich mich unsichtbar mache, bis er wieder weg ist.«
»Dann hasst er Sie auch?«, frage ich. Orion nickt. »Was haben Sie getan?«
»Im Grunde ist es nur die Tatsache, dass ich lebe.«
»Genau wie bei mir.«
Orion streicht sich die Haare aus dem Gesicht und ich sehe etwas Helles aufblitzen: eine Narbe, die sich über seine linke Halsseite zieht.
»Ich wollte dich schon längst fragen«, sagt Orion. »Ich habe dich rennen sehen … wovor läufst du weg?«
Er ist schon der Zweite, der mich das fragt, aber ich denke, dass er etwas anderes damit meint als das Mädchen mit den Kaninchen.
»Ich bin nicht sicher«, sage ich, »aber ich glaube, ich habe keine Lust mehr zu rennen.«
»Ja«, sagt Orion und wirft einen Blick hinter sich ins Archiv. »Ich auch nicht.«
»Ich sollte jetzt gehen«, sage ich, obwohl ich eigentlich nirgendwo hingehen kann. Auf jeden Fall werde ich nicht länger hier herumstehen, voller Angst, mich zu bewegen, und mich im Schatten unerreichbarer Planeten verstecken.
»Wir sehen uns bald«, ruft mir Orion nach.
Ich gehe langsam hinüber zum Krankenhaus. Die Luft im Krankenhausgarten ist feucht. Wäre ich auf der Erde, würde ich sagen, dass es bald regnen wird – aber ich bin nicht auf der Erde und hier kommt der Regen aus einer Sprinkleranlage.
»Lass mich los«, sagt eine ältliche Stimme hinter mir. »Ich komme auch allein die Treppe hoch.« Neugierig drehe ich mich um. Es ist Steela. Die Frau, die die Leute in der Stadt vertrieben hat, die mich bei meinem ersten Lauf bedroht haben.
»Ja, Mutter.« Die jüngere Frau klingt anders als ihre Mutter. Sie spricht in demselben monotonen Tonfall wie Filomina, als der Doktor sie untersucht hat.
Ich schaue in Steelas trübe Augen. Sie sieht mich einen Moment lang misstrauisch an, aber dann verziehen sich ihre runzligen Lippen zu einem noch runzligeren Lächeln. Ihre Zähne sind fleckig und schief, und ihr Atem riecht nach Zwiebeln, aber sie hat trotzdem ein nettes Lächeln. Ein echtes Lächeln.
»Mutter«, sagt die Frau wieder.
»Halt den Mund«, verlangt die alte Frau freundlich. »Ich bin gleich bei dir.«
»Ja, Mutter.« Die Frau steht einfach still da – wie ein Spielzeug, was man aufziehen kann. Der rüde Ton ihrer Mutter scheint sie kein bisschen zu stören, und es sieht so aus, als hätte sie überhaupt nichts dagegen, einfach nur dazustehen.
»Schön, Sie wiederzusehen«, sage ich und strecke ihr die Hand hin.
Steelas Händedruck ist fester, als ich erwartet habe. »Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen. Ich hasse diesen Ort.«
»Mutter«, sagt Steelas Tochter höflich. »Wir sollten jetzt ins Krankenhaus gehen.«
»Mutter«,
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