Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
mit.« Der Älteste seufzt, und bevor er es sich noch anders überlegt, springe ich auf und folge ihm aus dem Lernzentrum zum Großen Raum und durch die Luke ins Technikdeck. Seine Schuhe machen ein ungleichmäßiges Geräusch auf dem Fliesenboden, was sein Hinken deutlicher auffallen lässt als sonst. Er ignoriert mich ebenso wie die Techniker, die bei seinem Auftauchen sofort strammstehen.
Merkwürdigerweise erinnert mich das Technikdeck an das Kryo-Deck, wo Amy war und wo ihre Eltern sind. Auch hier gibt es keinen Wohnbereich. Alle Techniker leben in der Stadt auf dem Versorgerdeck und kommen über die Schwerkraftröhre hierher. Dieses Deck besteht ebenso wie das Kryo-Deck fast vollständig aus Metall. Von den Gängen geht es in Labors und Büros, einige davon sind mit biometrischen Scannern gesichert, andere noch mit altmodischen Schlössern von der Sol-Erde. In den meisten Fällen weiß ich nicht, was sich hinter den Türen befindet. Der Älteste hat sich nie die Mühe gemacht, mir beizubringen, was die Wissenschaftler und Techniker hier tun. Ich weiß eigentlich nur, dass die Bedeutung ihrer Aufgaben mit ihrer Lage auf dem Deck zusammenhängt. Die Labors, die der Schwerkraftröhre am nächsten sind, sind die unwichtigsten, in denen sich die Techniker mit Wetterversuchen und Bodenproben beschäftigen. Aber je weiter man den Flur hinuntergeht, desto wichtiger wird die Forschung. Ich bin bisher nur bis zur Mitte vorgedrungen, wo mit der Solarlampe experimentiert wird.
Aber der Älteste geht mit mir bis ans Ende des Flurs. Hier war ich noch nie und bin auch noch nie durch eine dieser Türen gegangen. Von meinem Studium der Schiffsdiagramme weiß ich aber, was sich hier verbirgt: der Energieraum, in dem Kernphysik studiert wird und von dem aus es in den Maschinenraum geht, in dem sich das gigantische Herz des Schiffs befindet. Dahinter liegt der Navigations-Kontrollraum, zu dem laut Ältestem nur die ranghöchsten Techniker Zutritt haben, die die Godspeed in 49 Jahren und 263 Tagen schließlich landen werden … ach nein, ich meine natürlich in 74 Jahren und 263 Tagen … 74 Jahre … 74 …
Der Älteste drückt seinen Daumen auf den biometrischen Scanner des Energieraums. »Ältester/Junior: Zutritt gewährt«, sagt der Computer mit seiner angenehmen Stimme. Ich zögere. Aber der Älteste geht einfach weiter und öffnet die nächste Tür. Als sie sich öffnet, höre ich das tiefe Brummen des Antriebs.
Endlich bekomme ich den Motor zu sehen.
Im Maschinenraum ist es heiß, unerträglich heiß. Ich zerre an meinem Kragen und schiebe die Ärmel hoch, aber der Älteste lässt sich nichts anmerken. Rund um uns herum bewegen sich Techniker. Einige tragen Laborgefäße oder Metallkästen mit sich herum, und fast alle haben Floppys unter dem Arm, auf deren Bildschirmen wichtig aussehende Tabellen und Diagramme zu sehen sind.
»Folge mir«, verlangt der Älteste.
Doch ich starre das Ding in der Mitte des Raums an. Riesengroß ragt die Maschine aus dem Boden.
Aus irgendeinem Grund bin ich nie auf die Idee gekommen, dass die Maschine im Maschinenraum sein würde. Ich meine, natürlich wusste ich, dass sie dort sein muss, aber ich habe nie wirklich darüber nachgedacht. Aus dem Unterricht des Ältesten weiß ich, dass es sich um einen Kernreaktor handelt, der mit Uran betrieben wird. Aber das Ding vor mir sieht beinahe aus wie ein Reagenzglas – allerdings ein riesengroßes Reagenzglas, aus dem schwere Metallrohre herausragen und es umringen. Hier ist der Herzschlag des Schiffs.
»Die Maschine ist laut«, bemerkt der Älteste, als ihm auffällt, wohin meine Aufmerksamkeit gewandert ist. »Und sie stinkt.«
Der merkwürdige Geruch nach Schmieröl und Reinigungsmittel war mir noch gar nicht aufgefallen. »Sie ist wunderschön.«
Der Älteste schnaubt verächtlich. »Sie ist nicht wunderschön.« Sein Blick geht zurück zur Maschine. »Sie ist das hässlichste Ding, das ich jemals gesehen habe«, sagt er ohne besonderen Ausdruck in der Stimme. »Weißt du, was für ein Antrieb das ist?«
»Nuklear«, sage ich.
Der Älteste verdreht die Augen. »Geht es vielleicht ein bisschen präziser?«
»Ein bleigekühlter schneller Brüter?«, rate ich und versuche, mich an die schematische Zeichnung des Antriebs im Archiv zu erinnern.
Der Älteste holt das kleine Modell der Maschine aus der Tasche, das ich zuletzt auf seinem Schreibtisch gesehen habe, als ich in sein Zimmer geschlichen bin. Er klappt es auf, damit
Weitere Kostenlose Bücher