Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
großen blauweißen und zwei kleinere, eine grün, die andere pink. Der Typ schluckt sie alle auf einmal, weicht der Schwester mühelos aus und kommt mit einem noch breiteren Lächeln auf mich zu. »Was ist los mit euch allen?«, ruft er über die Schulter. »Das ist unsere neue Mitbewohnerin, von der Junior mir erzählt hat!«
Ein paar Mädchen in der Nähe des Aufzugs plappern nervös drauflos, allerdings nur im Flüsterton. Eine Welle von Worten und Geflüster schwappt durch den Raum. Bei den meisten bekomme ich nicht mit, was sie sagen – dieser Akzent ist manchmal wirklich schwer zu verstehen. Es kommt mir vor wie die erste Mittagspause, wenn man neu auf die Highschool gekommen ist. Man sieht, wie einen alle anstarren, und hört, dass sie reden, und weiß genau, worüber sie reden.
»Was fehlt ihr?«, höre ich jemanden in meiner Nähe flüstern.
»Mir fehlt gar nichts«, sage ich laut.
»Ihre Haare …«, sagt jemand hinter mir. Ich fahre herum und meine roten Haare wehen mir über die Schulter, aber ich kann nicht ausmachen, wer gesprochen hat, denn sie alle starren mich mit ihren braunen Augen in den dunklen Gesichtern unter dem noch dunkleren Haar an.
Der große Kerl leckt sich demonstrativ die Lippen. Er tut nicht einmal so, als würde er mich nicht anstarren.
»Erfreut, dich kennenzulernen!«, unterbricht Harley das peinliche Schweigen. Er schüttelt mir die Hand und hinterlässt einen leuchtenden Farbfleck auf meiner Handfläche. Harley ist groß und schlaksig, seine Haare stehen in alle Richtungen ab und ein Teil davon ist mit Farbe bespritzt. Er hat ein freundliches Gesicht. Es erinnert mich ein bisschen an Junior.
»Leute, das ist das neue Mädchen. Junior kennt sie. Neues Mädchen, das sind die anderen.« Ein paar Leute schauen höflich auf. Manche lächeln sogar. Die meisten aber sehen mich misstrauisch an. Die Schwester neben mir pikt sich den Finger hinters Ohr und fängt an, Selbstgespräche zu führen.
»Was ist los mit ihr?«, frage ich Harley, als er mich zu dem Tisch führt, an dem er zuvor gesessen hat.
»Ach, nichts, wir sind hier alle ein bisschen bekloppt.«
Ich kichere, aber eigentlich nur vor Nervosität. »Nur gut, dass ich Alice im Wunderland gelesen habe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in ein Kaninchenloch gefallen bin.«
»Was hast du gelesen?«, fragt Harley.
»Ach, nicht wichtig.« Rund um mich herum folgen unzählige Augenpaare jeder meiner Bewegungen.
»Hört mal«, sage ich laut. »Ich weiß, ich sehe anders aus. Aber ich bin genauso ein Mensch wie ihr auch.« Ich hebe den Kopf, schaue ihnen allen in die Augen und versuche, ihr Starren so lange wie möglich auszuhalten.
»Genau, sag es ihnen«, verlangt Harley mit einem breiten Grinsen.
»Woher kommst du?«, fragt der große Kerl, der mich immer noch verächtlich ansieht.
»Wer bist du?«, frage ich gereizt.
»Luthe.« Seine Stimme ist tief und knurrig.
»Hör endlich auf, mich anzustarren, Luthe .« Ich verschränke die Arme vor der Brust. Luthes abschätziges Grinsen wird breiter und er hört natürlich nicht auf, mich anzuglotzen.
»Woher kommst du?«, greift eine Frau neben Harley die Frage wieder auf.
Ich seufze. Es hat wenig Sinn, Luthe zu sagen, dass er mich nicht anstarren soll, denn alle anderen tun es auch. »Ich bin von der Erde gekommen«, sage ich. »Vor langer Zeit.«
Das löst ungläubige Blicke aus – zumindest bei den meisten –, aber ein paar von ihnen haben einen Ausdruck in den Augen, an dem ich erkenne, dass auch sie genau wissen, dass ihr Himmel nur bemaltes Metall ist.
»Erzählst du uns davon?«, fragt Harley.
Also setze ich mich auf den Stuhl, den er mir anbietet, und ignoriere, dass die Frau neben mir die Flucht ergreift. Was kann ich ihnen von der Erde erzählen? Wie kann ich beschreiben, wie anders die Luft riecht, wie viel reicher die Erde ist, wie anders man sich selbst fühlt, wenn man weiß, dass man die ganze Erde zur Verfügung hat? Soll ich mit den Bergen anfangen, die unter Wolken und Schnee verborgen sind – kennen sie Worte wie Wolken , Schnee und Berge überhaupt? Ich kann ihnen von den verschiedenen Arten des Regens erzählen, den Wolkenbrüchen, bei denen man am liebsten zu Hause bleiben und einen Film ansehen möchte, oder dem prasselnden Regen, der einem ins Gesicht peitscht, oder dem leichten Sommerregen, der den Kuss deiner ersten Liebe umso süßer macht.
Sie sehen mich erwartungsvoll an und wollen alles über den Planeten hören, den ich meine
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