Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
der Knopf im Ohr gesagt hat, lief darauf hinaus, dass sie mich hassen sollen. Und jetzt tun sie es und werden gleich auf mich losgehen wie die anderen Leute auf der Station. Ich kriege keine Luft mehr.
»Was ist los?«, keuche ich, denn ich halte es keine Sekunde länger aus.
»Das ist nicht gut«, ist alles, was Junior antwortet.
»Das weißt du doch nicht«, widerspricht Harley.
Junior sieht ihn an. »Es kann nichts Gutes sein.«
»Was ist los?«
»Der Älteste hat einen Rundruf abgegeben. Schon wieder. Wir sollen alle aufs Regentendeck kommen.« Juniors Mundwinkel verziehen sich nach unten, was ihm tiefe Sorgenfalten ins Gesicht zeichnet.
»Ich finde das aufregend.« Harley springt auf und geht zur Tür. »Ich wollte das Regentendeck schon immer mal sehen.«
Da fällt mir wieder ein, dass die meisten Leute dieses Deck nicht verlassen dürfen – es ist schon schlimm genug, auf dem Schiff eingesperrt zu sein, aber nicht einmal auf die verschiedenen Ebenen gehen zu dürfen, ist geradezu lächerlich.
Harley drückt auf den Türöffner und springt hinaus auf den Gang. Ich will ihm folgen, aber als Junior sich nicht rührt, zögere ich.
»Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei«, sagt er.
»Komm schon!«, ruft Harley.
Junior und Harley diskutieren auf dem ganzen Weg aus dem Krankenhaus, vorbei am Archiv und zur Metallwand, die das Versorgerdeck einrahmt.
»Sie kann die Schwerkraftröhre nicht benutzen; sie hat keine Dra-Kom«, stellt Harley fest.
»Wie kommt sie dann aufs Regentendeck?«, fragt Junior.
»Ihr könnt mich doch hierlassen«, sage ich. Vielleicht wäre es das Beste. Mir platzt der Kopf. Mein Schädel fühlt sich an, als wäre er mit Watte gefüllt. Etwas, das Harley über die Dra-Koms gesagt hat, arbeitet in meinem Kopf herum, aber ich kann nicht klar denken.
»Kommt nicht infrage.« Juniors Hand zuckt, als wollte er nach mir greifen, aber im letzten Moment überlegt er es sich anders.
»Sie kann doch mit dir hochfahren«, schlägt Harley vor, aber die Zweifel sind ihm deutlich anzuhören.
»Hochfahren?«, frage ich.
Harley grinst. »Du musst dich nur an Junior festhalten, dann befördert er dich durch die Schwerkraftröhre nach oben.«
»Aber …« Junior wird rot.
»Hier.« Harley packt mein Handgelenk und zieht mich dicht an Junior. »Leg die Arme um ihn. Gut so. Geh ganz dicht an ihn heran. Noch dichter. Und Junior, du musst die Arme um ihre Hüften legen. Nein, du musst sie richtig anfassen. So.« Harley drückt Juniors Arm an meinen Rücken. Wir sind uns ganz nah. Ich kann Erde und Gras auf Juniors Haut riechen. Ich mag den Geruch.
»Alles klar?«, fragt Junior.
Ich nicke schwach. Keine Ahnung, ob es meine Nervosität ist oder etwas anderes, das mir das Gefühl gibt, als würde ein Eimer Wasser in meinem Magen herumschwappen. Obwohl ich wahrscheinlich tatsächlich einen Eimer Wasser in mir habe, wenn ich bedenke, wie viele Gläser ich getrunken habe.
»Gib das Kommando für die Röhre«, sagt Harley.
Juniors Hand zittert, als er zu seinem Knopf im Ohr greift. »Regentendeck«, befiehlt er. »Du musst die Schwerkraftröhre in der Stadt nehmen, weil du keinen Zugang zu dieser hast. Der Älteste muss für alle anderen die Luke im Großen Raum geöffnet haben«, fügt er hinzu. Harley nickt ungeduldig und bedeutet uns, endlich loszufahren.
»Ab mit euch!«, sagt er und schubst uns mitten unter die dicke durchsichtige Röhre.
Mir bleibt nur eine Sekunde, in den wirbelnden Wind hinaufzusehen, zu spüren, wie er meine Haare ansaugt, und die komprimierte Luft zu atmen – und schon fangen wir an aufzusteigen.
Juniors Arme klammern sich noch fester um mich und er zieht mich instinktiv dichter an sich. Ich schließe die Augen und lasse mich von ihm halten, ich vertraue ihm und fühle mich sicher in seinem Griff. Einen Moment lang schweben wir in dem Wind, der um uns bläst, und wir wippen auf und ab wie Bojen im Meer, als würde der Wirbelwind uns wiegen, bevor es losgeht. Eigentlich müsste ich Angst haben, aber ein Blick in Juniors lächelnde Augen genügt, um auch mich lächeln zu lassen.
Der Wind wird stärker. Mein Magen macht einen Satz, als wir nach oben gesogen werden, mit dem Kopf voran, schneller und immer schneller. Wir sausen durch die Röhre und der Wind klebt uns die Haare an den Kopf.
»Was passiert hier?«, schreie ich und versuche krampfhaft, meinen Kopf von Juniors Schultern zu lösen, damit ich ihm ins Gesicht sehen kann.
»Keine Angst!«, ruft Junior, doch
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