Godspeed Bd. 2 - Die Suche
verübte Morde, die andere dazu aufgefordert haben, dem Anführer zu folgen. Und davor Verletzungen und Schlimmeres – Selbstmorde, die ich nicht verhindern konnte.«
Viele Anwesende haben angefangen zu weinen. Ich kann nicht anders – ich muss Amy anschauen. Sie steht hoch aufgerichtet da und sieht mir in die Augen. Da richte auch ich mich auf und nehme die Schultern zurück.
»Und aus diesem Grund« – ich hole tief Luft – »biete ich euch jetzt an, mein Amt als Anführer der Godspeed niederzulegen.«
Meine Worte rufen geschocktes Schweigen hervor. Sie starren mich an und wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Ich lasse das Schweigen andauern. Ganz langsam dreht sich einer nach dem anderen zu der Person um, die ich so herausfordernd betrachte.
Bartie.
Aber er steht nur da und bringt kein Wort hervor.
Als sich auch weiterhin keiner rührt, sage ich: »Wenn niemand anders die Geschicke der Godspeed in seine Hände nehmen will, werde ich auch weiterhin mein Bestes für euch geben. Das ist alles.«
Ich beende die Dra-Kom-Verbindung und gehe.
62
Amy
Die Menge löst sich nur langsam auf. Es ist nicht vorbei, das ist mir klar. Zwar hat Bartie heute Abend nicht die Herrschaft an sich gerissen, aber das lag vermutlich nur daran, dass er so überrumpelt war. Oder er hat einen anderen Grund, die Kontrolle jetzt noch nicht zu übernehmen. Ich traue ihm nicht. Wenn wir nicht bald von diesem Schiff herunterkommen, wird Bartie die Herrschaft übernehmen – oder das Schiff bei dem Versuch ins Verderben reißen.
Nachdem alle weg sind, gehe ich den Pfad entlang zur Statue. Ich fand bisher, dass Junior der wasserfleckigen Statue des Seuchen-Ältesten kein bisschen ähnlich sieht, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.
Junior taucht aus dem Schatten der Statue auf und geht neben mir her.
»Woher wusstest du es?«, frage ich ihn.
»Woher wusste ich was?«
»Dass Bartie dich nicht auffordern würde zurückzutreten. Dass er die Führung des Schiffs nicht annehmen würde, obwohl du sie ihm angeboten hast.«
Junior schaut mich an. »Ich wusste es nicht.«
Ich versuche, mir meine Verblüffung nicht anmerken zu lassen.
Obwohl das Krankenhaus wieder freigegeben wurde, steuere ich mit Junior auf das Archiv zu.
»Ich habe nachgedacht«, sage ich, während wir den Pfad entlanggehen.
»Worüber?« Juniors Stimme klingt müde und schwach.
»Wie sehr du dich von Orion unterscheidest.«
Junior schnauft empört.
»Nein, im Ernst«, beteuere ich. »Orion hatte einen Notfallplan für seinen Notfallplan. Du nicht. Du tust einfach, was dir im entsprechenden Augenblick richtig vorkommt und wartest dann ab, was passiert.«
»Vielleicht sollte ich auch anfangen, Pläne zu machen«, sagt Junior. »Dann könnte alles besser laufen.«
»Du kannst nicht alles planen. Orion hätte auch nicht vorhersehen können, dass irgendein Irrer die Brücke in die Luft jagt.« Ich werfe Junior einen Blick zu und bemerke sein Stirnrunzeln. »Und das konntest du auch nicht«, füge ich hinzu, doch ich vermute, dass er mir nicht glaubt.
Wir reden nicht mehr miteinander, bis wir die Stufen des Archivs erreichen. Es ist still hier. Die Exponate in den verschiedenen Sälen erinnern uns an das, was wir nie haben werden, und daran möchte im Moment niemand erinnert werden.
»Es tut mir leid«, sagt Junior.
»Was tut dir leid?«
»Dass du das Schiff nun nicht mehr verlassen wirst, deine Eltern nicht aufwecken kannst – das alles.«
Ich kann sie aufwecken. Ich spreche es nicht laut aus, aber es ist wahr. Wenn wir wirklich keine Hoffnung mehr haben, jemals zu landen, dann werde ich sie aufwecken.
»Ich habe immer noch dich«, sage ich und greife nach seiner Hand. Aber Junior zieht sie weg. Er will nicht getröstet werden.
»Es ist alles meine Schuld. Ich habe nicht vorhergesehen, dass so etwas passiert …«
»Es ist nicht deine Schuld«, widerspreche ich sofort. »Das hätte niemand vorhersehen können …«
Ich verstumme. Jemand hat es vorhergesehen. Orion. Er hatte einen Plan für alles. Einen Notfallplan …
Ich deute auf einen der großen Wandfloppys. »Kannst du die Blaupausen des Schiffs aufrufen?«
»Wozu?« Juniors Augen flehen mich an, aufzuhören und ihm nicht vorzumachen, dass es noch Hoffnung gibt.
Aber es gibt Hoffnung.
Ich schiebe Junior vor den Wandfloppy und bleibe neben ihm stehen, bis er anfängt, auf den Bildschirm zu tippen, um die technischen Zeichnungen aufzurufen. Während er damit beschäftigt ist,
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