Godspeed Bd. 2 - Die Suche
renne ich ans andere Ende der Eingangshalle und hole den Stuhl, der dort an der Wand steht. Ich stelle ihn unter die Tonmodelle der Planeten und des kleinen Godspeed-Modells.
»In dem letzten Video, das ich gefunden habe, bevor ich den fehlenden Sprengstoff bemerkt habe«, sage ich und steige auf den Stuhl, »hat Orion erwähnt, dass ich den letzten Hinweis, den ich brauche, in der Godspeed finden würde.«
»Die Godspeed ist riesig«, sagt Junior. Auf dem Wandfloppy hinter ihm ist jetzt das Diagramm des Schiffs zu sehen. Es zeigt mir deutlich, wie gigantisch es tatsächlich ist.
»Ich weiß«, sage ich, »aber es ist doch merkwürdig, oder? Mir geht seine Wortwahl nicht aus dem Kopf. Er hat nicht auf der Godspeed gesagt, sondern in der Godspeed.«
»Und?«, fragt Junior interesselos. Seine Teilnahmslosigkeit verrät mir, dass er zwar körperlich anwesend ist, in Gedanken aber noch im Garten ist oder auf der Brücke seine Leute sterben sieht. Orions Hinweise sind ihm vollkommen gleichgültig geworden.
Ich strecke mich nach dem kleinen Modell der Godspeed, das zwischen den Tonmodellen der beiden Erden aufgehängt ist.
»In der Godspeed«, wiederhole ich. » In ihr.« Der Stuhl wackelt, aber ich stelle mich trotzdem auf die Zehenspitzen und kann das Modell knapp erreichen. Ich habe vorher schon festgestellt, dass es an einem Haken hängt und abnehmbar ist. Als ich gegen die Unterseite drücke, fällt es vom Haken. Ich fange es mit einer Hand auf. Dabei gerät der Stuhl ins Kippen, und ich springe schnell ab, bevor ich mit ihm umfalle. Junior fängt mich auf, was mich so überrascht, dass ich nach Luft schnappe. Er stellt mich sanft auf den Boden.
Das Modell ist ungefähr so groß wie mein Kopf und mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Ich puste den Staub weg. Die dicken Flocken sind so schwer, dass sie gleich zu Boden fallen. In den kleinen Vertiefungen des winzigen wabenförmigen Fensters über der Brücke sitzt noch mehr Staub. Ich drehe das Modell auf die Seite. Es sieht beinahe aus wie ein Vogel, der seine Flügel verloren hat – vorn ist der Schnabel, und der Antrieb stellt die Schwanzfedern dar.
Ich reiche es Junior.
Er hält es in der Hand, als wäre es etwas vollkommen Fremdes und kein Modell des einzigen Zuhauses, das er je hatte. Er starrt es nur an und macht dabei eine finstere Miene. Plötzlich treten die Venen auf seinem Handrücken hervor und seine Finger schließen sich fester um das Modell. Gezielt drückt er mit dem Daumen auf die Brücke, bis das winzige wabenförmige Fenster zerbricht. Ich sehe einen Tropfen Blut an seinem Daumen, aber er scheint keinen Schmerz zu spüren.
»Jetzt ist es detailgetreu«, sagt er und gibt mir das Modell zurück.
Ich suche seinen Blick, aber er ist vollkommen leer.
»Hier ist noch mehr Glas«, sage ich und zeige auf die Unterseite des Schiffs.
Junior zuckt interesselos mit den Schultern. »Ich habe es gesehen, als ich draußen war. Es muss ein Observatorium oder so was sein.«
»Dann muss es sich hinter der letzten verschlossenen Tür befinden«, stelle ich fest. »Wieso schließt man ein Observatorium ab?«
Ich trete vor den Wandfloppy. Junior bleibt beim Stuhl stehen, aber sein Blick folgt mir. Ich lege das beschädigte Modell auf den Boden und rufe über den Floppy Detailbilder auf. Ich brauche beide Hände, um mich auf dem Schirm durch das Kryo-Deck bis zu den verschlossenen Türen vorzuarbeiten. Nicht alle Räume sind beschriftet – die Waffenkammer zum Beispiel nicht –, aber beim letzten verschlossenen Raum steht ein Wort.
Notlösung
»Er hat mich – das hier – immer seinen Notfallplan genannt«, murmele ich vor mich hin. Ich drehe mich um und sehe Junior in die Augen.
»Dieses Glas hier hat doch garantiert etwas zu bedeuten«, sage ich, nehme das Modell der Godspeed in die Hand und zeige es ihm. Ich fahre mit einem Finger von der zerbrochenen Brücke zum untersten Deck des Schiffs. Hier hat es im Grunde dieselbe Form wie oben, denn auch hier ragt eine Art Schnabel heraus. Der einzige Unterschied ist, dass der auf dem Kryo-Deck kleiner ist.
Auf dem Modellschiff verläuft um das unterste Deck eine feine kreisförmige Linie aus Metall.
»Das ist nicht Orions Notfallplan«, sage ich langsam und drehe das Modell um, »es ist der Notfallplan der Godspeed. Ich kann nicht fassen, dass wir nicht schon längst darauf gekommen sind! Welches Schiff hat denn keine Notlösung? Welches Schiff hat keine bordeigene Raumfähre ? Das ist so
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