Godspeed Bd. 2 - Die Suche
der Brücke ist die Fähre vollgepackt bis zum Rand. Alle Räume sind entriegelt und jeder Quadratzentimeter wird als Stauraum genutzt. Nur die Waffenkammer nicht – Junior hat entschieden, diese Tür verschlossen zu lassen, obwohl wir den Platz brauchen könnten. Ich bin nicht sicher, ob er fürchtet, dass jemand eine Waffe stehlen könnte oder ob er das Ausmaß unserer Bewaffnung vorläufig geheim halten will, aber ich finde, dass er in jedem Fall die richtige Entscheidung getroffen hat.
Jeder andere Raum ist mit Nahrungsmitteln vollgestopft – genug für einen Monat. Kanister mit Wasser. Medikamente. Kleidung. Werkzeug. Regale voller winziger Pflänzchen aus den Gewächshäusern. Junior und Bartie haben das Vieh unter sich aufgeteilt. Mehrere der großen Tiere sind geschlachtet und ihr Fleisch ist geräuchert worden. Einige der kleineren – Kaninchen und Hühner – sitzen in Körben. Neben den Kryo-Kammern ist eine Art Mini-Bauernhof entstanden.
Alles, was jetzt noch fehlt, sind die Menschen.
Sie kommen in Zweier- und Dreiergruppen. Sie haben nur dabei, was sie tragen können. Sie bringen handgearbeitete Möbelstücke mit, eine alte Wiege, einen Schaukelstuhl, eine Spindel. Sie kommen mit Stoffballen, Schlachtermessern oder wissenschaftlichen Geräten. Sie kommen mit leeren Händen, starren durch das Wabenfenster und fangen an zu weinen. Sie gehen direkt in die Kryo-Kammern, wo schon andere warten, und drehen den Kopf keinen Millimeter, um bloß nicht zu sehen, was sie erwartet.
Sie sehen mich und lächeln, sie umarmen mich, sie berühren staunend meine blasse Haut und die roten Haare. Sie sehen mich und machen mürrische Gesichter, fluchen, verkünden, dass sie nur mitkommen, weil ihre Mutter, ihr Freund, ihre Freundin geht, und beteuern, dass sie das Risiko einer neuen Welt nur eingehen, um sie nicht zu verlieren.
Sie klettern die Leiter hinunter, springen auf den Boden, rennen auf die Brücke, gehen ans Fenster und berühren das Glas. Sie seufzen, wenn sie von der Leiter steigen, ihre Schultern hängen unter der Last ihrer Gedanken, ihre Gesichter sind rot und voller Sorgenfalten, ängstlich und besorgt.
Aber das Wichtigste ist: Sie kommen.
Junior trifft als Letzter ein.
»Das war’s«, sagt er. »Das sind alle.«
Alle, die mitkommen wollen.
Er zögert und ich renne zu ihm und schlinge ihm die Arme um den Hals. Unsere Meinungsverschiedenheit ist mir jetzt egal. Unser Streit spielt keine Rolle mehr – nicht in diesem Augenblick. Junior drückt mich so fest an sich, dass er mich ein Stückchen hochhebt. Dann setzt er mich sanft wieder ab. »Ich hab eine Riesenangst«, flüstert er mir ins Ohr.
»Ich auch«, flüstere ich zurück.
Er sieht mir in die Augen. »Was ist los?«
Ich antworte nicht und einen Moment später wendet er den Blick ab. Er weiß, was los ist.
»Ich muss ihn mitnehmen«, sagt Junior.
»Musst du nicht.«
Statt einer Antwort aktiviert Junior seine Dra-Kom. »Wir werden in wenigen Minuten starten«, verkündet er. »Wir fliegen mit Autopilot. Ich habe einiges über die Bedienung der Fähre gelernt, aber …«
Er gibt nicht zu, dass er nicht viel mehr weiß, als Shelby ihm gezeigt hat. Aber das ist immerhin mehr Fachwissen, als jeder andere vorweisen kann. Nur die hochrangigen Techniker – die bei der Explosion der Brücke getötet wurden – wussten, wie man die Raumfähre bedient.
»Ihr solltet euren Besitz sicher verstauen und euch beim Start gut festhalten«, fügt Junior hinzu, bevor er die Durchsage beendet.
Wir hören, wie sich die Leute sicheren Halt suchen. Dann schließt Junior die Tür der Brücke.
Sein ganzer Körper ist angespannt.
Er bedeutet mir, ihm zu den Kontrolltafeln unter dem Fenster zu folgen.
»Das ist es wert, oder?«, fragt er und starrt hinaus auf den Planeten.
Ich lehne mich über die Schalttafeln und versuche, so viel vom Planeten zu sehen, wie ich kann. Er ist hell und blau und grün mit weißen Wolken. Ich kann Seen und Berge erkennen, einen gelbbraunen Streifen, der eine Wüste sein muss, eine Reihe grüner Punkte – vermutlich eine Inselkette. Es ist das Schönste, was ich jemals gesehen habe.
Aber dann werfe ich einen Blick in Juniors Gesicht.
Seine Angst steckt mich an, und beim nächsten Blick auf die Zentauri-Erde frage ich mich, was uns dort unten erwartet.
Ich sehe wieder Victrias angsterfüllte Augen vor mir.
Der Tod kann schnell kommen und ist nicht aufzuhalten. Vielleicht entwickelt sich die Zentauri-Erde erst und
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